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Kultur: Die Zicke und der Tod

Premiere im Hans Otto Theater: Katja Riemann spielt Ibsens Hedda Gabler als unerwachsene Flüchtende und Intrigantin – die trotzdem auch liebenswert ist

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Das passt nicht. Man erkennt es auf den ersten Blick. Die blondwellige Hedda mit dem sexykurzen, roten Samtkleid und der frechen Schnauze. Und neben ihr der brave, graumelierte Tesman, schwarzer Pulli, rote Hose, die nach Pyjama aussieht. Sie, die flippige Ironische, er der bequeme Haustyp. Das kann nicht klappen. Und so kommt es dann auch. Die Ehe des gerade von seiner Hochzeitsreise zurückgekehrten Paares bricht auseinander, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Es ist Henrik Ibsens 1890 geschriebenes Psychodrama „Hedda Gabler“, das am Freitagabend im Hans Otto Theater Am Alten Markt Premiere hatte. Das zeitlose Stück des norwegischen Dramatikers, das von der wohlhabenden Generalstochter Hedda Gabler erzählt, die sich in ihrem neuen Leben mit Tesman so unsäglich langweilt, die sich nicht anpassen will an die Erwartungen, die an sie gestellt werden, die aber auch zu feige ist, aus ihrer Rolle und aus der vermeintlichen Welt der Kontrolle und Sicherheit auszubrechen. Die Berliner Regisseurin Amina Gusner hat das Schauspiel in vier Akten mit viel Musik aus dem Off, Rauch, Lichteffekten und auch sonst spektakulär inszeniert – und das Publikum mitgerissen.

Katja Riemann spielt die Hedda Gabler. Und sie spielt sie hervorragend: Mit kratziger Stimme hält sie ihre Monologe über die Leere und Lächerlichkeit des Seins, ihres und das der anderen. Mit extremer Körpersprache bringt sie Heddas Inneres an die Oberfläche, krümmt sich, schnappt nach Luft, verkrampft, umarmt sich selbst, als Tesman (Peter René Lüdicke) von Familie spricht und trauter Häuslichkeit. Hilflos und unverstanden, resigniert und schlaff hängt sie in seinen Armen. Und springt dann ganz plötzlich in eine ganz andere Stimmung, ist stark, aggressiv, treibt ihr Spielchen mit Frau Elvsted (Anne Lebinsky), der Ex-Flamme ihres Mannes. Mit ihr versucht sie Schicksal zu spielen. Und mit Eilert Lövborg, ihrem eigenen Ex, der mit Elvsted eine tiefe „Kameradschaft“ pflegt. Das lenkt vom eigenen Leben ab.

Hedda ist verbittert zynisch, intrigant und fies – und trotzdem auch liebenswert in ihrer hilflosen Verlorenheit in dieser Welt, in der sie ihren Weg nicht sieht, aber auch gar nicht wirklich sucht. Sie hofft vielmehr darauf, dass er sich ihr einfach so eröffnet, dass sie nichts dafür tun muss, um ihr Glück zu finden. Die einst wohlhabende Tochter des Generals, eine unerwachsene, verwöhnte, unzufriedene Zicke, die sich nicht bescheiden will. Aber wer lernt schon gerne Kompromisse einzugehen, wenn er auch so immer gut durchgekommen ist? Immer wieder greift Hedda zur Gitarre, um sich ihren Schmerz von der Seele zu singen. „There is a House in New Orleans“ oder „You don’t have anybody“. Das hat was. Und klingt gar nicht schlecht.

Der Tatort der Aufführung (gestaltet von Johannes Zacher) besteht aus einem weiten, quadratischen Feld, einer nach hinten aufsteigenden, leeren Fläche mit nichts als den Figuren darauf, die auf ihr spielen. Eine Bühne, die fokussiert, die den Figuren viel Raum gibt und auf der sich die Beziehungen der Figuren sehr ausdrucksstark arrangieren lassen. Zum Beispiel: Tesman und der in zugeknöpftem Matrosenoutfit erscheinende Richter Brack sprechen im Hintergrund über Aktien und Börsenkurse, vorn sitzt Hedda mit ihrer Klampfe, singt immer lauter, bis sie hysterisch schreit, damit ihr endlich jemand Aufmerksamkeit schenkt.

Nicht immer ganz nah am Text führt die Inszenierung durch das Ibsenstück. Die Sprache klingt so, wie man eben heute so spricht: Die verwöhnte Hedda wünscht sich einen Schalter, mit dem sie im Winter den Sommer anknipsen kann, einen fliegenden Teppich, der sie nach Kopenhagen oder Potsdam fliegt, eine Krone aus Rubinen, eine rote Elektrogitarre, einen Papagei, einen Mamagei, einen Babygei. Warum nicht? Die Sprache passt, auch wenn sie hin und wieder plakativ klingt.

Allzu sehr plakativ hingegen wirkt zuweilen die über die Vorlage hinausgehende Handlung. Wozu muss Frau Elvsted von Hedda mit sexueller Gewalt erniedrigt werden: Hedda steht hinter der hockenden Elvsted und deutet brutalen Sex von hinten an. Auch die Körpersprache ist mitunter überdramatisiert. Auch wenn man im ersten Augenblick darüber lachen muss: Wozu muss die Nase des angeschlagenen Tesman bluten? Warum muss Hedda nicht nur hysterisch, sondern gleich superhysterisch reagieren? Wozu braucht man den Rauch, der die Figuren vernebelt. Man fragt sich nach dem Sinn solcher Effekte, kommt die Aufführung doch sicher auch gut ohne diese Zuspitzungen aus. Die Geschichte wäre ohne besser erzählt.

Und trotzdem: Gusner gelingt insgesamt eine unterhaltsame wie anregende Inszenierung, mit durchweg überzeugenden Darstellern und einer nachvollziehbar erzählten Geschichte: Heddas Entschluss, sich am Ende umzubringen ist verständlich, ja äußerst konsequent und mutig aus ihrer Sicht heraus. Und das kommt rüber. Die Zuschauer würdigten die Aufführung mit langem Applaus.

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