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Kultur: Die Zukunft der Gurke

Am Wochenende begann das „intersonanzen“-Festival mit erstaunlich kreativen Ideen zur Neuen Musik

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Auch wenn die neue Zeit von der Neuen Musik nicht viel hält, müssen einige Dinge einfach getan werden, egal ob die Welt Ja oder Nein dazu sagt. Dazu gehören seit 14 Jahren auch die „intersonanzen“, das brandenburgische „Fest der neuen Musik“. Zwar ist es hier, in der Hochburg allen Kunstgenusses, schier unmöglich, dem traditionsverwöhnten Bürger klarzumachen, was die Neue Musik von dieser neuen Zeit hält. Aber wer wäre nicht gern Don Quichotte, es immer wieder zu versuchen? Windmühlen gibt es überall.

Bei der Suche nach dem Lebendigen jenseits jahrhundertealten Geschmacks und Willens kann nicht jede Neuerscheinung gleich ein voller Treffer sein. Uraufführungen gab und gibt es noch bis zum 24. des Monats reihenweise, aber die Zeitgenössischen sind nicht nur fleißige Leute, sie sind auch hochgradig kreativ. Alles, was sich irgendwie zu Musik machen lässt, wird ihnen zum Objekt der Begierde. So hat Susanne Stelzenbach in ihrem Opus „Andere Saiten aufziehen“ einen Zwirnsfaden lotrecht an eine Saite des offenen Konzertflügels geheftet, den sie mit Kolofonium anstreicht, oder zupft. Im Ensemble mit dem begnadeten Violinisten Dietrich Petzold erstand am Samstag im „sans titre“ ein Dialog aus sphärischen Klängen und einer sehr irdischen Viola, die bald ins Chaos geriet und diesen Wettstreit zuletzt kläglich verlor. In dieser Komposition kam übrigens ein seltenes Instrument zum Einsatz, Petzold hat es aus alten Klistierspritzenteilen und einem Resonanzteil gebaut. Ob man das Clistierofon nun streicht oder anschlägt, der glockenhelle Ton ist stets wunderbar. Auch sonst nie gehörte Töne und erstaunliche Ideen im „sans titre“, zum Beispiel bei „FarbKlang“, wo der Maler mit Händen ein Bild erschuf, während Thomas Gerwin auf seinem präparierten Banjo mit Xyloplättchen und zwei Quirlen eindrucksvoll improvisierte. Thorsten Bloedhorn animierte seine E-Gitarre bei „Die Zukunft der Gurke“ mit eigenem Werkzeugkasten, darunter Spülbürste und ein Hundekamm, zu filigransten Tönen.

Es war der Abend des Improvisations-Kammerensembles „ad hoc“, zu dem die Genannten gehören. So gab’ s im Parterre ein Simultankonzert „für 7 weit voneinander spielende Instrumente“, von Thomas Gerwin erdacht. Toll. Man erlebte, bei allem Ernst, eine große Offenheit für alles Neue, Experimentierfreude, eine Atmosphäre aus Neugierde und Respekt vor den Werken der anderen.

Ob nun vom Technischen oder vom Geistigen aus, die Atmosphäre dieses Fests der hellsten Köpfe war ansteckend. Produktivität in jeder Minute. Kein Ort fürs Lukullische, keine Dirigate. Die inhaltliche Ausrichtung im größtmöglichen Rahmen „Ordnung und Chaos“ blieb auch diesmal erhalten. Das war auch am Freitag im Veranstaltungsraum der Stadtbibliothek zu spüren, wo Martin Krause – Solo-Schlagzeuger beim Deutschen Filmorchester – Werke von Gisbert Näther, Hans Hütten, Steffen Schellhase und Volker Freidel fast durchweg aus dem Kopf spielte. Hier ging es trotz Zwölfton-Art eher zart und leise zu, ein sehr filigraner, ein richtig schöner Abend der Neuen Musik. Alternierend dazu lasen die Wiepersdorfer Literatur-Stipendiaten Judith Nika Pfeifer und Pyotr Magnus Nedov aus eigenen Werken. Dieser Teil hätte sich gewiss etwas geschickter auswählen und einfädeln lassen, aber sei’ s drum, hier ging es ja nicht um die Zukunft der Gurke.

Zurück zum Sonnabend. Bevor Udo Koloska und Mikos Meininger ihre dreirädrige „Kunst-Rikscha“ Richtung Schiffbauergasse bestiegen und das Landespolizeiorchester Brandenburg punkt zehn unter der zugigen Humboldt-Brücke „Modernes Blech“ präsentierte, gab es im „sans titre“ noch einen Block mit elektroakustischer Musik. Welch Unterschied! Wo immer live gespielt und improvisiert wurde, kam der Geist in Form, was Konserve war, das blieb hingegen Konserve. Am Donnerstag wird das intersonante Kreativprogramm im Nikolaisaal mit Gästen aus Rumänien fortgesetzt. Gerold Paul

Das „intersonanzen“-Festival läuft noch bis zum 24. Mai, die Konzerte finden im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, im Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, und im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, statt. Das Programm finden Sie unter www.intersonanzen.de

Gerold Paul

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