Kultur: Die Zukunft hat gerade erst begonnen
Das älteste Potsdamer Symphonieorchester: das Collegium musicum / Knut Andreas übernahm vor zehn Jahren die Leitung
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„Wir sind das älteste Potsdamer Symphonieorchester, das kontinuierlich in Potsdam probt und spielt“, sagt Knut Andreas nicht ohne Stolz. Seit fast zehn Jahren leitet nun der junge Dirigent das 1945 gegründete Collegium musicum.
Mit sechzig Mitgliedern hat das in Babelsberg beheimatete Laienorchester seit einiger Zeit wieder Symphoniestärke erreicht. Viele neu zugezogene Potsdamer finden sich unter den Musikern, einige kommen aus dem Umland, manche aus den südöstlichen Bezirken von Berlin. Offenheit gehört inzwischen zum Programm des Orchesters, das die Besucher immer wieder mit spannenden Konzerten anlockt.
Beispielsweise beim Frühjahrskonzert in diesem Jahr: Dort erklangen Joseph Haydns skurrile Symphonie „Der Zerstreute“ sowie die Saxophon-Suite von Darius Milhaud. Solist des umjubelten Konzerts war Ralf Benschu, Saxophonist der bekannten Potsdamer Band Keimzeit. Das Märchen von Aladdin und der Wunderlampe in der Vertonung des dänischen Komponisten Carl Nielsen stand im Zentrum des letzten aufwändigen Konzerts. Dass das Collegium musicum immer wieder mit interessanten, musikalisch-dramaturgisch durchdachten Programmen auffällt, ist hauptsächlich seinem Dirigenten zu verdanken. Der gebürtige Potsdamer Knut Andreas übernahm als 19-Jähriger im Herbst 1998 die Leitung, zu einer Zeit, als das Orchester nach einer neuen Identität suchte. Zwar hatte sich schon 1992 ein gemeinnütziger Orchester-Verein gegründet, doch die Besetzung bestand nur noch aus ein paar Streichern und einem Cello. Bläser gab es keine mehr.
Bis zur Wende musste das Collegium musicum, das sich ab den siebziger Jahren als „Sinfonieorchester der Werktätigen“ betitelte, zahlreiche Beiträge zur „Festigung und Vertiefung der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ leisten. Es probte und musizierte nämlich im damaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Als „Ausgezeichnetes Volkskunstkollektiv“ errang es viele Preise. Geleitet wurde es zu DDR-Zeiten u.a. von Otto Wendt, Werner Scholl und Ronald Reuter. So manche Musiker aus der Potsdamer Ärzteschaft gehörten zu den Mitgliedern. Konzertmeister war der bekannte Mediziner Bruno Sühring, der auch so manches Solokonzert als Geiger übernahm. Von dem damals schon recht breiten Repertoire mit einem Schwerpunkt auf deutscher Klassik zeugt ein umfangreiches Notenarchiv.
Heute trägt sich das Orchester weitestgehend selbst. Es gibt keine Unterstützung von der Stadt, gelegentlich helfen Sponsoren. Die Musiker zahlen einen Mitgliedsbeitrag. Geprobt wird im gemieteten Bethlehemkirchsaal in Babelsberg. Dort und in der Friedrichskirche finden die Konzerte statt, bei moderaten Eintrittspreisen zwischen drei und fünf Euro.
Unter Knut Andreas, der im Februar 2008 erneut zum Orchesterleiter gewählt wurde, bildete das Orchester ein neues Profil. Am meisten Kopfzerbrechen bereitet dem gelernten Geiger, Fagottisten und Musikwissenschaftler, der gerade seine Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität in München abgeschlossen hat, stets die Konzertdramaturgie: „Es ist immer ein Balancespiel, ein Programm zu finden, das für das Publikum spannend ist und für die Musiker eine Weiterentwicklung bedeutet. Sonst fehlt der drive.“
Auch für die neue Saison hat er sich ein paar Höhepunkte ausgedacht. „Stille“ ist das erste Konzert im November überschrieben, ein bewusst paradoxer, philosophischer Titel. Mit dem „Cantus arcticus“ des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara erklingt eine anmutige Komposition für Symphonieorchester und Tonband über Stimmen von arktischen Vögeln. Samuel Barbers anspruchsvolles „Adagio for Strings“ für Streichorchester variiert das Thema „aus dem Nichts kommend“ auf ergreifende Weise. Ausgesprochen neugierig ist Knut Andreas auf die Reaktionen beim Werk 4:33 von John Cage dessen drei Sätze mit der Anweisung „tacet“ (es schweigt) überschrieben sind.
Im Sommer kommenden Jahres findet erstmals ein Open-Air-Konzert für die ganze Familie vor der Friedrichskirche statt, die „Klassik am Weberplatz“. Es scheint so, als hätte die Zukunft des Collegium musicum Potsdam gerade erst begonnen.
Babette Kaiserkern
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