Kultur: Die Zunge auf den eigenen Schultern Bernd Begemann
im Waschhaus
Stand:
Es gibt einen, der kommentiert mit U2-Songs die deutsch-deutsche Gesamtsituation, indem er singt „We are one, but not the same“ oder „I can’t live with or without you“. Der findet Nicht-Klatschen unpatriotisch und holt deshalb seine schwarz-rot-goldenen Plastikklatschhände hervor, um in den Applaus seiner Gäste einzustimmen. Ein kleines, aber feines Publikum übrigens, das ungemein textsicher ist und sich am Donnerstagabend im Waschhaus versammelt hatte. Hier durften eingefleischte Fans von Bernd Begemann, dem Gast und Star des Abends, im Klub ganz nah sein.
Der Hamburger Musiker, in cremefarbenem Anzug und rosa Hemd, gab über drei Stunden 100 Prozent und performte eine Show, die randvoll war mit beispielloser Hingabe in seine Songs, die von „Du bist mein Niveau“ über „Fernsehen mit deiner Schwester“ bis zu „Slums von Eppendorf“ reichten. Dazwischen energisches Hüftkreisen, intensive pantomimische Untermalung der Songs, emotionale Zusammenbrüche, gesellschaftliche Analysen und erotische Showeinlagen. Bernd Begemann, der nur allzu bereit war, männliche Archetypen zu bedienen, leckte sich live on stage die eigene Schulter und beeindruckte so nicht nur das weibliche Publikum.
Da war klar, dass sich nach der Pinkel-, Rauch- und Knutschpause alle wieder vollzählig im Klub versammeln würden, um auch den zweiten Teil der Bernd-Begemann-Show zu erleben. Und der hatte schon im Vorfeld nicht nur vollmundig angekündigt, ab jetzt all seine Lieblingslieder zu spielen. Er versprach auch eine Fütterung des Publikums von der Bühne aus. Das sei seinem Jesuskomplex geschuldet, und die Ankündigung, aus drei sogenannten Komfortschnittchenhäppchen dreihundert zu machen, klang verlockend.
War dann auch lecker. Obwohl Bernd Begemann die Häppchen tatsächlich nur unauffällig in die erste Reihe gab und diese ihren Weg praktisch selbst finden mussten. Trotzdem rundete diese kleine, in Anlehnung an Jesus durchgeführte Verköstigung einen Abend ab, der nicht nur lang war, sondern auch musikalisch und inhaltlich einiges bot. Wie er die Töne förmlich aus seiner Gitarre schüttelte, um ihnen dann scheinbar wehmütig nachzublicken. Wie er sich in Ermangelung einer Band einfach den iPod schnappte und eine Mischung aus Pop und Schlager bot, die durch seine ganze Mimik und Gestik einen sehr parodistischen Anstrich auf das Getue anderer Popgrößen bekam.
Überhaupt zeigte Bernd Begemann keinerlei Respekt vor seinen Künstlerkollegen. Eitel fuhr er sich immer wieder durchs Haar, war fasziniert von seinen eigenen Texten und ließ an der deutschen Popkultur kein gutes Haar. Er gab die eitle Diva, die immer wieder wie unter Schmerzen zusammenzuckte, wenn einer der Gäste den Saal verließ, um doch nur mal schnell eine zu rauchen. Was blieb ihnen auch übrig, bei einem so ausgedehnten Programm.
Schließlich sah Begemann das aber selbst noch ein. „Diese Show ist viel zu lang“, sagte er. Wiederkommen darf er sicher trotzdem. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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