Kultur: „Diese Balladen sind ja Krimis“
Der Schauspieler Ben Becker über Weihnachtserinnerungen, Seefahrerromantik und seinen Lyrikabend „Der ewige Brunnen“ im Nikolaisaal
Stand:
Herr Becker, ein Blick auf die Gedichtauswahl für Ihr Programm „Der ewige Brunnen“ hat für einen gehörigen Schrecken gesorgt.
Warum?
Sie rezitieren unter anderem Goethes „Erlkönig“, Fontanes „John Maynard“ und Schillers „Der Handschuh“. Da werden unangenehme Erinnerungen aus dem Deutschunterricht wach. Das war Pflichtlektüre! Und damit nicht genug. Auswendig lernen mussten wir diese Gedichte auch noch und haben uns dann vorn vor der Klasse stehend einen abgestottert.
Das tut mir leid. Aber da sind Sie nicht der Einzige, da schrecken viele erst einmal zurück. Und ohne mir selbst auf die Schulter klopfen zu wollen, aber es ist dann oft so, dass mir gesagt wird, so hätten die Leute das noch nicht gehört.
Weil sie diese Gedichte zum ersten Mal wirklich verstehen?
Ich weiß nicht. Die sagen: Ach, das ist aber schön. Dabei erzähle ich nur die Geschichten. Aber so, dass die auch nachvollziehbar sind. Und dadurch werden die unheimlich spannend. Letztendlich sind diese ganzen Balladen ja Krimis. So wie „Der Heideknabe“ von Friedrich Hebbel. Und auf eine gewisse Art und Weise auch sehr modern.
Trotzdem, haben Sie keine unangenehmen Erinnerungen an das schulische Gedichtlernen?
Ich kann mich erinnern, dass es damals hieß: Becker, lernen Sie „Die Kraniche des Ibykus“!
Bei uns hießen die nur „Die Kraniche des Igittikus“.
Ich habe es auch gehasst. All die vielen Fremdwörter, dieser Timotheus, ich habe das alles gar nicht verstanden.
Und mit dem „Erlkönig“, dem „Handschuh“ oder mit „John Maynard“ wurden Sie nicht geärgert?
Nein, wurde ich nicht. Und „John Maynard“ ist eine der Lieblingsballaden von meinem Stiefvater Otto Sander und mir. Der Otto hat das immer zu Weihnachten vorgelesen.
Warum ausgerechnet „John Maynard“?
Weil wir beide es ja auch ein wenig mit der Seefahrt haben.
Also waren die Erinnerungen an heimische Gedichtlesungen Auslöser für Ihren Lyrikabend?
Ich wollte nach der Bibel, nach diesem Riesending, wo wir mit fast 100 Mann auf der Bühne standen, was Kleines machen. Ein Programm, mit dem ich tingeln gehen kann ohne diesen riesigen Aufwand. Ich habe einen kleinen Lesetisch dabei und zwei Stühle. Ach ja, und den Pianisten. Und da habe ich mich, so doof das auch klingen mag, an Weihnachten erinnert. Denn immer zu Weihnachten, als es noch das Ensemble der Schaubühne gab, kamen die ganzen Schauspieler zu uns. Da wurde nicht der Fernseher angemacht. Mein alter Herr ging des Öfteren in den Weinkeller und dazu wurden Balladen aus dem Buch „Der ewige Brunnen“ vorgelesen oder jemand setzte sich ans Klavier.
Wird Ben Becker jetzt sentimental?
Quatsch, das war einfach eine schöne Tradition. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Klischee von Becker als dem harten Kerl. Das ist doch nur eine Erfindung des Boulevards. Das kann man doch in der Pfeife rauchen. Dass ich mich schon immer gern mit ernsthafter Literatur und ernsthaften Themen auseinandergesetzt habe, das weiß man ja nun. Für „Der ewige Brunnen“ habe ich mir mein Best-Of zusammengestellt. Das sind nun mal zum großen Teil die Klassiker. Vielleicht rechnet bei mir mancher nicht mit so viel Konservatismus. Aber das ist es ja auch gar nicht. Das ist ein sehr schöner, intimer Abend, an dem ich manchmal auch ein bisschen von mir erzähle, von unseren Weihnachtsfesten. Dazwischen lese ich ein paar Gedichte. Bei manchen muss ich lachen, bei anderen wie dem „Zauberlehrling“ schauspielere ich mehr. Oder Heines „Ritter Olaf“, das zu lesen ist einfach unheimlich schön.
Sie lachen über die Gedichte?
Klar, manchmal sind die doch ganz schön pathetisch. Da muss ich einfach lachen, weil ich mir sage: Mensch, jetzt übertreiben die aber.
Es sind aber nicht nur Gedichte, die Sie lesen.
Nein, es ist auch ein moderner Song mit dabei. Von Rio Reiser „Über das Meer“.
Da ist sie ja wieder, Ihre Sehnsucht nach dem Meer.
Ja, und das passt auch sehr gut ans Ende. Weil ich da so Sachen von Emanuel Geibel, Nis Randers und den „John Maynard“ lese, einfach ein bisschen Seefahrerromantik.
Was ist für Sie eigentlich so reizvoll an Gedichten?
Ich kann einfach mit dieser Art von Sprache sehr viel anfangen. Wobei das von Gedicht zu Gedicht sehr unterschiedlich ist. Goethe ist natürlich weniger weich als Heine. Das ist doch klar. Und grundsätzlich kann ich mit den Geschichten was anfangen, das gibt mir was und ich finde das unheimlich schön erzählt. Das sind lauter kleine Geschichten mit einer Moral am Ende. Oder sie verführen einen, öffnen irgendwelche Emotionen in uns.
Also, wenn Goethe weniger weich ist als Heine, was ist dann Schiller?
Goethe kommt ja teilweise sehr gefestigt daher. Wobei ich ihm seine romantischen Seiten nicht absprechen will. Bei Schiller? Da kommt es darauf an, was man von ihm liest. Jetzt muss ich mal kurz überlegen, was ich noch mal von Schiller im Programm habe.
„Der Handschuh“.
Genau. Und das ist ja eine richtige Abenteuergeschichte. Im Grunde der „Gladiator“ dieser Zeit. Und er entbehrt auch nicht einer gewissen Komik. Das macht einfach Spaß. Und wenn ich Lust darauf habe, dann plaudere ich auch mit dem Publikum. Denn da sitze ich im kleinen Raum mit den Leuten zusammen und lese ihnen noch einmal die Klassiker vor, die sie alle aus der Schulzeit noch kennen. Die freuen sich, das wiederzuhören.
Sicher?
Manchmal, wenn ich sage: Jetzt lese ich „John Maynard“, geht ein Raunen durch die Menge.
Das ist das Raunen des Entsetzens, weil plötzlich wieder traumatische Erinnerungen aus der Schulzeit hochkommen.
Ich bin mir ganz sicher, dass die sich freuen. Einen Schreck bekommen die nur, wenn ich anfange „Die Glocke“ zu rezitieren. Denn dann denken die: Oh Gott, jetzt muss ich hier noch eine Stunde sitzen. Aber das ist nur einer der kleinen Gags, die ich einbaue. Die haben ihren Spaß, denn die wissen ja, was sie erwartet. Die kommen da ja nicht hin, um es blöd zu finden.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Ben Becker mit „Der ewige Brunnen“, einer musikalischen Lesung mit Lyrik und Balladen aus 400 Jahren am Sonntag, dem 20. Februar, 20 Uhr, im Nikolaisaal, Eintrittskarten zwischen 40 und 31,20 Euro in der Ticket-Galerie des Nikolaisaals
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: