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ZUR PERSON: „Diese Bruchstelle von Glückseligkeit und Melancholie“
Ein Gespräch mit Jan Vogler über Bach und die einzigartige Klangfarbe des Cellos / Am Sonntag spielt Jan Vogler mit der Kammerakademie Potsdam Ich glaube, dass Bach Vibrato überhaupt nicht gemocht hat.“
Stand:
Herr Vogler, werden Sie eigentlich häufig nach Bach gefragt?
In letzter Zeit schon.
Wohl weil Sie noch in diesem Jahr Ihre erste Einspielung der sechs Suiten für Cello solo von Johann Sebastian Bach veröffentlichen? Schon seit 1997 sind Sie als Solist weltweit unterwegs und haben mittlerweile über 20 Alben veröffentlicht. Warum haben Sie sich mit Bachs Suiten so lange Zeit gelassen?
Das sind natürlich die Höhepunkte der Celloliteratur. Aber mein Weg zu Bach führte über verschiedene Umwege. Und erst in letzter Zeit habe ich meine große Anregung für eine entsprechend intensive Auseinandersetzung gefunden.
In welcher Form?
Durch die Abschrift von Bachs Ehefrau Anna Magdalena. Wir haben ja kein überliefertes Manuskript von den sechs Suiten, nur die unterschiedlichen Abschriften. Und auch deshalb habe ich mir Zeit gelassen. Vor zwei Jahren habe ich mich dann entschieden, meine Arbeit ganz auf die Abschrift von Anna Magdalena zu konzentrieren.
Weil man davon ausgehen kann, dass diese dem Original am nächsten kommt?
Im Vergleich mit den anderen Abschriften ist diese so schön, dass sie fast schon selbst ein Autograph ist. So habe ich dann meinen neuen Ansatz gefunden, der auch mit ein paar Grundsatzentscheidungen verbunden ist.
Was Ihre Interpretation der Suiten betrifft?
Ja, denn ich glaube, dass Bach im Vergleich zu seinen italienischen und französischen Kollegen, Vibrato überhaupt nicht gemocht hat. Außer an ganz komplizierten Stellen zur Verzierung. Hinzu kamen Entscheidungen über die Stimmungen und über die Wahl der Saiten. So bin ich an den Punkt gekommen: Jetzt ist die Zeit reif, jetzt kommen mir auch viele Ideen. Und man soll immer dann handeln, wenn man inspiriert ist.
Das klingt nach der oft erwähnten Lebensaufgabe, die die Auseinandersetzung mit den sechs Cellosuiten von Bach für jeden Cellisten bedeuten.
Unbedingt. Und das Timing ist dabei sehr wichtig, niemand sollte da etwas erzwingen. Denn es gibt mittlerweile genug Aufnahmen von diesen Suiten. Aber es ist immer noch Platz für eine neue Sichtweise.
Bach steht bei Ihrem Konzert mit der Kammerakademie Potsdam am Sonntag nicht auf dem Programm. Dafür aber mit Tschaikowskys „Variationen über ein Rokoko-Thema A-Dur“ eines der bekannteren Cellokonzerte.
Ja, das ist Standard.
Dann aber auch ein Cellokonzert von dem weniger bekannten Komponisten Tigran Mansurian, der in seiner musikalischen Sprache als Reduktionist gilt.
Mit der Mansurian eine ganz klar geformte und, wie ich finde, unglaublich faszinierende musikalische Welt entstehen lässt. Da werden wir nicht durch eine Fülle von Eindrücken hineingedrängt, sondern durch einen reduzierten Sog hineingezogen. Aber dieses zweite Cellokonzert, das ich zusammen mit der Kammerakademie spiele, ist doch noch um einiges üppiger als Mansurians Cellokonzert Nr. 3, das ich im vergangenen Jahr uraufgeführt habe. Das ist wirklich ein ganz reduziertes Stück, bei dem der Zuhörer über weite Strecken das Gehörte im Kopf selbst ergänzt und so seine eigene Phantasie einbringen kann. Eine attraktive, dunkle Welt entsteht durch diese Musik. Und diese dunklen und melancholischen Farben des Lebens besitzen ja eine gewisse Attraktion. Bei Mansurian wird man davon schon fast abhängig.
Dunkle und melancholische Farben, eine Beschreibung, die auch wunderbar auf den Klang des Cellos zutrifft. Da stellt sich doch die Frage: Ist der Cellist auch immer ein melancholischer Mensch?
Ich denke schon, dass das auf jeden Fall in unserem musikalischen Wesen steckt. Und die Stärken des Cellos liegen an dieser Bruchstelle von Glückseligkeit und Melancholie. Je länger man lebt, umso deutlicher erkennt man, wie endlich Glück doch ist und versteht so auch immer mehr diese typische Cellofarbe. Als junger Cellist muss man vor allem durch Temperament und Brillanz überzeugen. Aber je länger ich Cello spiele, umso klarer wird für mich, dass diese wunderbar dunklen Farben das wirklich Spannende an diesem Instrument sind.
Sie haben 1984, im Alter von 20 Jahren, als erster Konzertmeister für Violoncello in der Staatskapelle Dresden ihre musikalische Karriere begonnen. Erst 1997 trafen Sie Ihre Entscheidung für eine Solokarriere. Was hat Sie so lange im Orchester gehalten?
Für mich war das eine Zeit des Reifens, und eine Frage von Ost und West. Ich bin durch die DDR ganz natürlich in der Orchesterkarriere gelandet. Meine Eltern als Orchestermusiker hatten mir gesagt, dass ich versuchen müsse, die bestmögliche Stelle zu bekommen. Die hatte ich dann bei der Staatskapelle Dresden. Und die Arbeit hat mir Spaß gemacht und auch erfüllt. Aber wie bei den Suiten von Bach kam dann irgendwann der Punkt, dass ich das Gefühl hatte: Jetzt bin ich soweit, habe genug angespart an künstlerischen Ressourcen um meine eigenen Wege zu gehen.
Was meinen Sie mit künstlerische Ressourcen, die Sie angespart hatten?
Eine Solokarriere hängt ja gar nicht so sehr ab von den technischen Steigerungen, nach dem Motto: Welches Konzert spiele ich morgen? Da ist vor allem das Reservoir an künstlerischer Kraft, das ein Musiker besitzt. Und die muss ja irgendwo herkommen. Bei mir kam sie auch durch diese Zeit der Ruhe in Dresden.
Eine künstlerische Kraft, die sich aus der Erfahrung entwickelt?
Erfahrung und eigene Ideen! Die Ausbildung zum Musiker ist ja nur eine ganz solide Grundlage. Gerade heute sind die technischen Fähigkeiten auf dem Instrument wirklich nur die Basis. Dazu kommt, dass man auch etwas zu sagen hat. Und meiner Meinung nach muss sich diese Fähigkeit bei einem Musiker erst entwickeln. Bei mir war das die Zeit in Dresden.
Warum ausgerechnet in dieser Stadt?
Ich kam ja aus Berlin. Und dann diese im Vergleich wirklich stille Stadt. Da hatte ich dann mit endlosen Partituren von Wagner bis Strauss zu tun. Irgendwie hat das was in mir ausgelöst.
Hilft Ihnen eigentlich diese langjährige Erfahrung als Konzertmeister, als Orchestermitglied, sich bei Ihren Tourneen besser auf die ständig wechselnden Ensembles einzustellen?
Ja und nein. Denn ich musste nach meiner Zeit in Dresden auch lernen, dass es bei einem Cellokonzert vor allem darauf ankommt, diese größere Gruppe von Menschen, dieses Orchester, möglichst schnell mit der eigenen Sichtweise zu infizieren. Eine gewisse Magie muss da schon in der ersten Probe entstehen, mit der die Musiker auf die eigene Seite gezogen werden. Dass sie sagen: Oh, das ist wirklich schön, dieser Klang, diese Phrasierung, so müssen wir das auch spielen. Denn nur durch gute Dienstauffassung werden sie meine musikalische Sichtweise nicht von ganzem Herzen teilen. Das gelingt nur durch Faszination.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Jan Vogler spielt in der Reihe „Stars International“ am Sonntag, dem 8. Mai, 19 Uhr, zusammen mit der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten zwischen 35 und 8 Euro in der Ticketgalerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331) 28 888 28
Der Cellist Jan Vogler, 1964 in Berlin geboren, besuchte die Spezialschule für Musik Berlin und war Schüler von Peter Vogler und Josef Schwab.
Vogler begann seine Karriere als erster Konzertmeister Violoncello in der Staatskapelle Dresden 1984 im Alter von 20 Jahren. 1997 entschied er sich dann für eine Solokarriere. Jan Vogler ist Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals bei Dresden und seit Oktober 2008 auch Intendant der Dresdner Musikfestspiele.
Jan Vogler lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Dresden und New York. kip
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