Kultur: Diese gewisse Abenteuerlust
The Playfords spielen mit der Potsdamer Geigerin Claudia Mende Advents- und Weihnachtslieder
Stand:
Es sind Lieder, die damals fast jeder kannte. Gassenhauer im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn der Musikverleger John Playford zusammen mit seinem Sohn Henry im Jahr 1651 nicht ihr Buch „English Dancing Master“ herausgebracht hätten, vielleicht würde sich heute niemand mehr an diese Lieder, diese Melodien erinnern.
Die Musik aber ist in „English Dancing Master“ im Grunde nur eine Randnotiz. Pro Tanz ist einfach nur die jeweilige Melodie notiert. Keinerlei Hinweise auf Harmonisierung, Interpretation oder die bevorzugten Instrumente. Mehr Worte werden dagegen auf die Tanzschritte verwendet, wie die Männer und wie die Frauen sich zu bewegen haben. „Aber diese einfache Melodie für jeden Tanz, das ist schon ein wirklicher Glücksfall für uns“, sagt Benjamin Dreßler vom Ensemble The Playfords. Am kommenden Freitag sind die fünf Musiker von den Playfords zusammen mit der Potsdamer Geigerin Claudia Mende in der Christuskirche zu erleben. „Nova! Nova! Europäischen Advents- und Weihnachtslieder aus dem 14. bis 18. Jahrhundert“ ist ihr Konzert überschrieben.
Es sind die einfachen Melodien aus „English Dancing Master“, die die fünf Musiker zusammengebracht haben. An der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar wurde für einen Kurs mit Tänzen aus Renaissance und Frühbarock eine musikalische Begleitung gesucht. Weil da nur die einfache Melodie vorhanden war, wurden Musiker gebraucht, die die Stimmen für ihre Instrumente selbst arrangierten. Und die Lust auf Improvisationen hatten. „Wenn für manche Tänze die eine Strophe bis zu 40-mal wiederholt wird, braucht es schon bald eigene musikalische Ideen“, so Dreßler. Eigene musikalische Ideen, das heißt im Grunde nichts anderes als Improvisation. Und weil die Flötistin Annegret Fischer und die Percussionistin Nora Thiele, der Lautenist Erik Warkenthin, der Gambist Benjamin Dreßler und der Sänger Björn Werner ihr musikalisches Zusammenspiel nicht allein auf den Tanzkurs an der Musikhochschule beschränken wollten, gründeten sie im Jahr 2001 ihr Ensemble und benannten es nach den Herausgebern der „English Dancing Master“.
„Wir spielen auf historischen Instrumenten, aber mit entsprechenden Einflüssen aus Folk und Jazz“, umschreibt Dreßler das Etikett „earlymusicfolk“, das sie den Playfords verpasst haben. Man kann es aber auch so übersetzen: Kommen die Playfords zu ihrem „earlymusicfolk“ zusammen, bedeutet das viel Freiheit und musikalische Abenteuerlust. Eine Abenteuerlust, auf die sich immer wieder auch Claudia Mende einlässt.
Schon auf dem Debütalbum der Playfords war Claudia Mende mit ihrer Geige vertreten. „Oranges & Lemons“, so der Titel der Einspielung mit 16 Tänzen und Balladen aus der Sammlung „English Dancing Master“. Mittlerweile liegen drei Alben der Playfords vor. Neben „Oranges & Lemons“ und „Fa una canzone“, Tänzen und Liebesliedern der italienischen Renaissance, auch eine Einspielung mit dem Advents- und Weihnachtsprogramm, das am Freitag in Potsdam zu hören sein wird.
Die Playfords hatten zusammen mit zwei Chören des Leipziger Gewandhauses alte Advents- und Weihnachtslieder arrangiert. Und wie schon beim Tanzkurs an der Musikhochschule in Weimar merkten die Musiker schnell, dass sie aus dem Material mehr machen konnten. „Wir haben uns solche Lieder ausgesucht, die weniger stark durch den Chorgesang geprägt waren, und eigene Arrangements geschrieben“, sagt Benjamin Dreßler. Als es an die Aufnahmen für das Album „Nova! Nova!“ ging, haben sie dann bei Claudia Mende angefragt, ob sie nicht mitspielen wolle. Die sagte zu und überraschte die Playfords mit einem neuen Instrument, das erst eine Woche zuvor die Werkstatt des Potsdamer Instrumentenbauers Tilman Muthesius verlassen hatte.
Entstanden ist eine frühbarocke Violine mit kurzer Mensur und einem regelrecht klobigen Hals, weil hier die tiefe G-Saite nicht mit Draht umsponnen und entsprechend dünn ist, sondern aus Darm und damit doppelt so dick. Die Playfords zeigten keine Skepsis gegenüber diesem neuen Instrument, sie ließen sich, ganz ihrem Grundprinzip entsprechend, auf das Abenteuer ein. Hört man „Nova! Nova!“, ist das wie eine Entdeckungsreise, die einen immer wieder mit kleinen, feinen Abenteuern überrascht.
Weihnachtskonzert „Nova! Nova!“ mit den Playfords am Freitag, dem 21. Dezember, um 19 Uhr in der Christuskirche in der Behlertstraße 9. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 6 Euro. Kinder bis 12 Jahre haben freien Eintritt
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: