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Was ist hier Leidenschaft? Und was schon Wut? Othello (Jan Maak) und Desdemona (Urs Stämpfli) in klassischer Umarmung.

©  Shakespeare und Partner

Kultur: Dieses Spiel ist pure Kraft

Shakespeare und Partner überzeugten mit „Othello“ im T-Werk

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Oft liegen sie sich in den Armen, sind liebeskrank und können leidenschaftlich jammern. Bisweilen erstarrt in gemeißelten Posen, sind sie doch in steter Bewegung, treiben sie Faxen oder wälzen sich bald schon brüllend, in wüster Prügelei am Boden. Sprühend, wort- und gestenreich, dieses Spiel ist pure Kraft. Was die sechs Akteure der Berliner Schauspieltruppe Shakespeare und Partner am Freitagabend im ausverkauften T-Werk präsentieren, was so beginnt wie eine Theaterprobe unter Freunden, mit denen man, schon kostümiert, noch Smalltalk hält, während Jazzmusik aus einem Radio dudelt, ist eine „Othello“-Inszenierung in der Regie von Markus Weckesser ungewöhnlich direkter, ehrlicher und intensiver Machart.

Es wird viel gelacht, denn über lange Strecken ist das Stück hinreißend komisch und frivol. Dank der saftig humoristischen Doppeldeutigkeit und der in diesem Shakespeare-Drama eingeflossenen komödiantischen Formen kann etwa Sebastian Bischoff die Rolle des verschmähten Liebhabers Roderigo genauso trefflich mit Komik ausfüllen, wie Kai Frederick Schrickel seinen Part als Brabantio, wenn derselbe auf das Geständnis seiner Tochter Desdemona, sie liebe einen Mohren, mit putziger Bestürzung reagiert. Dieser Mohr, die von Jan Maak schlichtweg brillant gespielte Titelfigur Othello, ist eine eindrucksvolle Gestalt. Befremdlich aussehend und doch geachtet und erfolgreich hat dieser Hüne im rosa Hemd und Ledermantel, mit seiner dunklen sanftmütigen Stimme und den fettigen Haarsträhnen im schwarz beschmiertem Gesicht lange Zeit die Sympathien und auch die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Präzise fest, dabei unglaublich temporeich jagt er nur so durch seinen in Versform und Alltagssprache verfassten Text (Übersetzung: Frank-Patrick Steckel), präsentiert ihn einmal gar als Rap-Einlage. Indes die üblen Machenschaften seines Fähnrichs Jago ahnt er nicht.

Dieser Intrigant, ein in seinem Karrieredenken verletzter Bursche, den Andreas Erfurth recht vielschichtig darzustellen weiß, flüstert seinem Vorgesetzten Othello schließlich ein, dieser sei ein gehörnter Ehemann. Allein das im Saallicht sitzende Publikum weiht Jago wiederholt in seine bösen Pläne ein. Wie auch die anderen Figuren öfter, spricht er es dabei direkt an und gliedert sich dann wieder in das Bühnengeschehen ein, welches sich ausnahmslos vor einer riesigen, mit einem goldenen Löwenwappen bedruckten, roten Fahne abspielt und manchmal bis in die mittleren Zuschauerreihen hineinreicht. Doch nicht nur diese direkte, buchstäblich greifbare und wohltuend ungezwungene Art der Darbietung mag an die Shakespearesche Globebühne des frühen 17. Jahrhunderts erinnern.

Wie schon im Elisabethanischem Theater, werden an diesem Abend auch die Frauenrollen traditionell von Männern gespielt, was erfreulicherweise dann ohne ständigen Augenaufschlag und tuntige Posen geschieht. Ohnehin amüsieren sich die Gäste lieber über die häufigen, selbstverständlich wirkenden Maskeraden an sich, wenn etwa Urs Stämpfli sich mitten auf der Bühne die Lippen schminkt, den Mantel ablegt und plötzlich mit schief sitzender Perücke und im tischdeckenartigen gelben Kleid als Desdemona da steht. Die oft ulkigen eiligen Kostümierungen, die zu engen Jacketts über der Militärkleidung, die aufgeklebten Bärte, die kurzen Bademeisterhosen, ja diese gezielte, charmante Nachlässigkeit verbreitet eine köstliche Heiterkeit im Saal.

Erst nach der Pause verändert sich die Stimmung spürbar, mündet das Stück in die vorgezeichnete Tragödie, sodass nun angespannte Stille wie eine Gewitterwolke über den Gästen liegt. Othello hat längst seine Sanftmut verloren und ist, zerfressen und rasend vor Eifersucht, zur wutschreienden Bestie geworden. Brutal ermordet er seine unschuldige Frau Desdemona. Doch statt sich anschließend selbst zu töten, wie im Shakespearschen Original, beendet Othello das Stück nach zweieinhalb Stunden mit einem unmittelbaren und fast beiläufigen „Nein“. Danach entlädt sich ein langer donnernder Applaus. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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