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Tag der offenen Tuer im ehemaligen MfS-Gefaengnis Lindenstrasse 21.07.1990

© Stiftung Gedenkstaette Lindenstrasse Foto Eberhard Thon

„Differenzierung notwendig“: Bürgerrechtler Carsten Linke über die Anfänge der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße

Der frühere Bürgerrechtler ist heute Mitglied des Stiftungsrats. Er erinnert an die Zeit nach dem Mauerfall, die Übernahme des Hauses und den Wandel vom Gefängnis in ein Haus der Demokratie.

Von Carsten Linke

Stand:

Ich verbinde mit dem Ort der heutigen Gedenkstätte Lindenstraße vor allem die Zeit der Inbesitznahme 1989/90, das Haus der Demokratie, Jahre der politischen Arbeit und der Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte dieses Ortes.

Für mich besteht der Gebäudekomplex nicht nur aus der heutigen Gedenkstätte Lindenstraße, sondern aus den Hausnummern 53–55. Das kleine, heute kommerziell genutzte Haus Lindenstraße 53 beherbergte bis Dezember 1989 die Wachmannschaften des Staatssicherheitsgefängnisses. Dann wurde es Teil des Hauses der Demokratie. Leider weist heute nichts mehr darauf hin.

Bereits am 5. Dezember 1989 verschaffte sich ein kleines Bürgerkomitee Zugang zum Untersuchungsgefängnis Lindenstraße und kontrollierte, ob alle politischen Häftlinge entlassen worden sind. Zuvor war die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung in der Hegelallee in Potsdam erfolgt. Am Folgetag bildete sich der „Rat der Volkskontrolle“ aus ARGUS, Neuem Forum, der SDP und der Stadtverwaltung.

Herausgabe der Schlüssel und Abzug der Wachen gefordert

Am 8. Dezember richtete der „Rat der Volkskontrolle“ ein Bürgerbüro ein und weniger Tage später verschafften wir uns erneut im Namen des Rates Zutritt zum Untersuchungsgefängnis. Wir verlangten die Herausgabe der Schlüssel und den Abzug des Wachpersonals. Beides erfolgte.

In den Dezembertagen danach teilten wir uns die zahlreichen Räume der damaligen Otto-Nuschke-Straße 53–55 auf. So zogen SDP und Neues Forum sowie die Vereinigte Linke und die Grüne Partei ein.

Am 20. Januar 1990 veranstalteten die Bürgerinitiativen und neue Parteien einen Tag der offenen Tür, nachdem bereits seit Mitte Dezember 1989 erste Büroräume eingerichtet worden waren. Am 24. Januar 1990 unterzeichneten Rainer Speer und ich die Mitverträge für beide Häuser mit der Stadt. Damit wurde das ehemalige Gefängnis der Staatssicherheit offiziell zum „Haus der Demokratie“ in Potsdam. Es schlossen sich viele Jahre der politischen Arbeit in der Lindenstraße 53 an.

Es dauerte fast 20 Jahre, bis ich den Gebäudekomplex der Gedenkstätte Lindenstraße wieder betrat. Grund dafür war auch die Konzeption der Gedenkstätte mit der starken Vermischung der Zeitschichten und Opfergruppen. Ein Denkmal „Das Opfer“ kann der Vielschichtigkeit der Geschichte des Hauses nicht gerecht werden. Es besteht gleichzeitig die Gefahr der Gleichsetzung, nicht nur der Diktaturen, sondern auch der Opfer.

So werden möglicherweise auch Täter der Nazi-Diktatur Opfer der sowjetischen Säuberungen. Mehr Differenzierung ist für die Nachkriegszeit notwendig. Mit der Überführung der Gedenkstätte 2015 als Stiftung änderte sich bis heute im positiven Sinne deren Arbeit und meine Sichtweise auf diese. Ebenso meine Mitwirkung. Erstmals wurde ich im August 42 2020 in der Funktion des Vorsitzenden des Kulturausschusses Stiftungsratsmitglied. Die Neubesetzung der Gedenkstättenleitung stand auf der Tagesordnung.

In den letzten Jahren hat die Gedenkstätte vielfältige Themen aufgegriffen und so auch ein differenzierteres Geschichtsbild entstehen lassen. Erwähnt seien beispielsweise die Ausstellungen zur Politische Justiz in Potsdam zwischen 1919 und 1933, zur Zwangsarbeit und NS-Justiz in Potsdam oder die über die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (1989–95). Weiter so.

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „30 Blickwinkel auf 30 Jahre Gedenkstätte Lindenstraße“, die anlässlich des Geburtstages der Gedenkstätte veröffentlicht wurde.

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