Kultur: Distanz ist nicht möglich
Heinrich Breloer vor seinem Besuch in Potsdam über „Speer und Er“
Stand:
Heinrich Breloer vor seinem Besuch in Potsdam über „Speer und Er“ Herr Breloer, gibt es schon Reaktionen auf Ihren Film „Speer und Er“? Ich habe hier einen Brief: „An Heinrich Breloer, den Geschichtsbaumeisteramateur.“ Der war gerade in der Post. Das sind aber wenige Briefe. Die haben aber schon Speer als Verräter bezeichnet. Das ist nicht so, dass ich mich fürchten müsste. Mal schauen, was die nächsten Tage passiert. Dann sind da noch die Leute, die mich auf der Straße ansprechen. Die fordern mich auf, mehr zu erzählen. Hier in Köln-Südstadt ist es ja ein bisschen wie in Potsdam. Da kennen einen die Leute und fragen „Wo haben Sie denn das her?“ Die finden den Film interessant und sind betroffen. Wie kam es zu Ihrer Auseinandersetzung mit Albert Speer? Ich hatte Speer 1981 kurz vor seinem Tod interviewt. Da hat er uns Auskunft gegeben über die Bauten des Dritten Reiches. Dann verabredeten wir für meine zehnteilige Serie „Mein Tagebuch“, auch über seine Tagebücher, die er während seiner 20-jährigen Haft in Spandau schrieb, einen Film zu machen. Dazu kam es nicht mehr. Ich las ein Jahr später das Buch „Mythos Speer“, das ihn schon in einem ganz anderen Licht zeigte. Ich hatte die Geschichte von ihm gelernt und geglaubt, dass er ein verführter Künstler war, der zufällig von Hitler zum Rüstungsminister gemacht wurde und dann nur seine Pflicht tat, so anständig wie möglich und am Ende Deutschland gerettet hat vor den wahnsinnigen Befehlen Hitlers. Ich war verblüfft, dass mich dieser sehr freundliche Herr total getäuscht hatte. Diese Fabel hatte sich durchgesetzt und ist auch bis letzte Woche im Großen und Ganzen fester Bestandteil des kollektiven Bewusstseins in Deutschland gewesen. Und ich glaube, dass wir dass mit dem Film „Speer und Er“ wenigstens erschüttern konnten. Eine Debatte hat der Film jetzt schon bewirkt. Warum wählten Sie diese Mischung aus Interview, Originalaufnahmen und Spielfilm für „Speer und Er“? Das begann schon 1981, als ich das erste Mal diese Form an dem Film „Das Beil von Wandsbek“ ausprobiert habe. Wir haben, auch durch finanzielle Zwänge bedingt, Spielfilm- mit Interviewszenen geschnitten und gemerkt, dass durch dieses Hin und Her eine ungeheure Dynamik entsteht. Das haben wir in den folgenden Jahren von Film zu Film weitergeführt. Aber jedes Mal mussten wir dabei die Form neu erfinden, uns wieder neu fragen. Warum neu erfinden? Ich erzähle keine Geschichte und die Kamera bebildert diese. Die Dokumentation hat jedes Mal eine ganz eigene Rolle, wird neu definiert. Bei „Speer und Er“ war es so, dass hier die Dokumentation quasi die Gegenwart der Vergangenheit zeigte. Die Kinder Speers spielen mit. Sie gehen mit mir durch das Leben des Vaters und schauen in die Szenen hinein. Man sieht, wie lebendig das alles noch in ihnen ist, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist. Wie schwer sie es haben, diesem Vater ins Gesicht zu schauen, den der Spielfilmteil zeigt. Das sind keine Dokumente von Zeitzeugen, denn die Kinder sind ja Mitspieler in diesem Stück. Ich glaube, historische Stoffe erzählt man am besten so, dass man den Zuschauer mitnimmt in eine Suchbewegung, die ich mit der Kamera – quasi als ihr Detektiv – mache. So kann der Zuschauer dann selbst die Mosaiksteine zusammensetzten. Ich mache kein Ergebnisfernsehen. Ich mache ein Suchfernsehen. Speer ist am Anfang noch nett, denn er kennt ja das Drehbuch seines Lebens nicht. So geht es auch den Erzählern und so soll es auch dem Zuschauer gehen, den dann die Fakten überraschen. Alfred Speer hatte sechs Kinder, im Film kommen aber nur Albert jr., Arnold und Hilde zu Wort. Die anderen drei haben sich verweigert. Ich habe intensiv mit Margret Nissen und Fritz Speer gesprochen. Margret Nissen hat ihre Absage damit begründet, dass sie nicht im Fernsehen reden kann und sich nicht an ihren Vater erinnert. Ich habe das sehr bedauert. Sie wollte ihre Anonymität wahren, in die sie auch unter dem Namen Nissen geflüchtet war. Jetzt hat sie das Buch „Sind Sie die Tochter Speer?“ über ihren Vater geschrieben. Eine kleine persönliche Erinnerung. Fritz Speer, ein sehr netter Mensch, der konnte das nicht. Ich habe ihn auch zu den Dreharbeiten der Spielfilmszenen eingeladen. Doch die nervliche Belastung durch die persönlichen Erinnerungen sind für ihn zu groß. Ernst Speer, das jüngste Kind, das im Haus der Eltern in Heidelberg lebt, hat niemanden reingelassen, der hat sich regelrecht verbarrikadiert. Er spricht mit den anderen Geschwistern aber auch nicht. Achteten Sie bei Ihrer Arbeit auf Distanz? Nein. Ich lasse das an mich heran. Bei vielem, was ich während der Arbeit über Speer erfuhr, bin ich fast vom Hocker gefallen. Da ist kein distanziertes Interview möglich, wenn ich mit den Speerkindern zusammen alte Briefe lese. Das ist eine Zeitreise mit der Kamera, bei der ich versuche, möglichst dicht dran zu sein und der Zuschauer vielleicht irgendwann sogar die Kamera vergisst. Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis in der Auseinandersetzung mit Albert Speer? Es gab kein Schlüsselerlebnis. Die Auseinandersetzung war eine andauernde Verschärfung der Situation. Bei der gesamten Recherche haben sich immer mehr kleine Lügen und Verdrehungen herausgestellt. Wie Speer die Verantwortung für das Konzentrationslager Dora verleugnet, wie er sich in Nürnberg herausgeredet hat. Wir sind immer tiefer in diesen Prozess eingedrungen, haben Akten studiert. Das Bild von Albert Speer ist dabei immer unheimlicher geworden. Wir fanden immer mehr für Speer negative Dokumente, die das Bild von dem Hauptkriegsverbrecher verdichteten, der Speer wirklich war. Ist die Person Speer überhaupt zu enträtseln? Das ist schwierig. Da gibt es das Selbstbild des Architekten, das er durch seine Selbstdarstellung bei zahllosen Fernsehauftritten prägte. Dann kommen immer wieder neue Dokumente hinzu. Erst am Montag habe wir Dokumente auf unsere Homepage gestellt, die beweisen, dass Speer ganz genau wusste, was in Auschwitz geschah. Der Verdacht hatte sich schon immer verdeutlicht, dieses Dokument bringt jetzt endlich die Gewissheit. Daher nenne ich die Auseinandersetzung mit seiner Person auch „Projekt Speer“. Neben dem Film sind zwei Bücher erschienen. So kommt das Material auch in die Hände der Forschung. Das ist ein Versuch, alle daran teilnehmen zu lassen. Was kommt nach Speer? Es liegen drei sehr verschiedene und hochinteressante Projekte auf meinem Tisch. Ein Stoff spielt im 19. Jahrhundert, einer wieder im Dritten Reich und einer in der Gegenwart. Die Entscheidung wird mir sehr schwer fallen. Doch mehr will ich noch nicht sagen. Zuerst einmal muss ich jetzt aus dem Dritten Reich auswandern, raus aus dem braunen Sumpf, um wieder frische Luft zu atmen und den Kopf frei zu kriegen. Das Interview führte Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: