Kultur: Diszipliniert und klangschön Vokalensemble aus
Wilhelmshaven gastierte
Stand:
Dass das Wilhelmshavener Vokalensemble zu den führenden deutschen Kammerchören gehört, belegte ein eindrucksvolles Konzert in der Nikolaikirche. Zwar saßen den rund 35 Sängern nur wenig mehr Zuhörer gegenüber, doch sie durften ein ausgesprochen farbiges Konzert mit geistlicher Chor- und Orgelmusik erleben.
Einen nicht unwesentlichen Anteil trug der namhafte Organist Jörg Strodthoff, Kantor an der Auen-Kirche in Berlin-Wilmersdorf, mit seinem eigenwilligen, phantasievollen Orgelspiel. Frei und erfindungsreich intonierte er die Phantasie e-moll von Wilhelm Friedemann Bach. Robert Schumanns Opus 56 aus den „Skizzen für den Pedalflügel“, ein fragmentarisches, assoziatives Werk, erhielt in der Orgelversion französisches Timbre. Stellenweise wirkte es wie von einem der französischen Orgelmeister des späten 19. Jahrhunderts komponiert. J.S. Bachs Präludium und Fuge G-Dur setzten furiose, aufbäumende Orgelakzente.
Seit der Gründung des Wilhelmshaveners Vokalensembles im Jahr 1987 treffen sich die Sänger aus Deutschland und Holland jedes Jahr für mehrere Wochen, um unter ihrem Leiter Ralf Popken zu proben. Der gebürtige Wilhelmshavener, selbst ein renommierter Altus-Sänger und in Alte-Musik-Kreisen sehr geschätzt, hat die Sänger zu einem hochwertigen Ensemble verschmolzen. Verschiedene CD-Aufnahmen mit geistlichen Liedern – zuletzt von Paul Gerhardt – für das Evangelische Magazin Chrismon demonstrieren die kontinuierlich gewachsene Anerkennung für Gesangskunst der Wilhelmshavener.
Der Titel des Konzerts „Himmelwärts“ versprach nicht zu viel. In ätherische Höhen der Musik und der Besinnung führten die Kompositionen vom Barock bis zur Moderne mit einem Schwerpunkt im 19. Jahrhundert. Die Doppelchor-Motette „Singet dem Herren ein neues Lied“ von J.S. Bach gleich zu Beginn zeugt von Ehrgeiz. Zweimal vier Stimmen bilden hier, zumal in der Fuga, ein regelrechtes Stimmorchester, das verschiedene Instrumente textgetreu imitiert. In vierstimmigen Wechselreden ergehen sich die Chöre in der ruhigen Aria des zweiten Satzes. Dem abschließenden Lobgesang mit seinen ausgeprägten Melismen fehlte es bei aller vokalen Prägnanz in einzelnen Partien stellenweise etwas an Geschlossenheit und Abrundung. Eine außergewöhnliche Entdeckung ist die Chorbearbeitung von Gustav Mahlers Rückert-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Die Fassung für 16-stimmigen (!) Chor von Clytus Gottwald wirkt trotz komplizierter Struktur ungemein poetisch, elegisch und – vor allem – schlicht. Das lyrische Ich des Originals verschmilzt zu einem kollektiven Gesang der meditativen Einkehr, eine kongeniale Metamorphose des alten Vorbilds.
Benjamin Brittens „Hym to St. Cecilia“ für fünfstimmigen Chor fordert allerhöchstes Niveau. Die Vertonung von W.H. Audens sprachmächtiger Ode an die altrömische Heilige Cäcila, die zur Schutzherrin der (Kirchen-)Musik erkoren wurde, illuminiert den hochartifiziellen Text exzentrisch und effektvoll. Mehrfach erheben sich Einzelstimmen über dem bewegten, dissonant leuchtenden Klangteppich mit vielen harmonischen und dynamischen Zuspitzungen. In ihrer berückenden Wiedergabe bewältigten die Wilhelmshavener Sänger das anspruchsvolle Tongebilde wunderbar diszipliniert, intonationssicher und klangschön. Kürzere Lieder von Johannes Brahms, Anton Bruckner und Samuel Wesley beendeten das großartige Konzert, dem man mehr Zuhörer gewünscht hätte.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: