Kultur: Domestiziert und handzahm
Welch eine Wirkung muss es gehabt haben, wenn eines Tages in einem einsamen Pußta-Dorf eine Zigeunerkapelle erschien und mit feurigen Klängen aufspielte – zu einer Zeit, als Musik noch ein äußerst seltener Genuss war? Zweck jener Veranstaltungen war die Rekrutierung von Soldaten für das Habsburger Heer.
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Welch eine Wirkung muss es gehabt haben, wenn eines Tages in einem einsamen Pußta-Dorf eine Zigeunerkapelle erschien und mit feurigen Klängen aufspielte – zu einer Zeit, als Musik noch ein äußerst seltener Genuss war? Zweck jener Veranstaltungen war die Rekrutierung von Soldaten für das Habsburger Heer. Diese Anwerbung mittels ganz wörtlich „mitreißender“ Tänze brachte einen eigenen musikalischen Stil hervor, der selbst die klassische Musik beeinflusste.
Im Palmensaal im Neuen Garten präsentierte das Ensemble Sonnerie der Barock-Violinistin Monica Huggett ein buntes Potpourri traditioneller ungarisch-zigeunerischer Musik und ihre Spiegelung in der Kammermusik von Josef Haydn. Die Tänze heißen „Lassú“, „Friss magyar“ oder „Verbunko“ und stellten eine Art musikalisches Freiheitsideal dar. Grenzüberschreitungen jeder Art bildeten das Programm dieser Musik, die nicht zufällig im 19. Jahrhundert Furore machte – fort vom gerade erst etablierten Schema der tonalen Musik ins exotische „Zigeunermoll“. Akkordsprünge, vehemente Wechsel in Rhythmus, Tempo und Dynamik, virtuose Kunststückchen auf der Solovioline kündeten von fernen Sphären.
In der Interpretation des Ensembles Sonnerie klingen die Stücke von Ignác Ruzitska, Márk Rózsavölgi oder János Bihari jedoch insgesamt recht domestiziert und handzahm. Das liegt sicher auch daran, dass diese Musik aus Improvisationen entstand und auswendig gespielt wurde, hier aber folgte man beflissen den Noten. Aus dem Wechselspiel von metallisch-spröder Violine im direkten, vibratolosen Barockstil und dunkel-deftigem Cello entsteht ein Klangbild im chiaro-oscuro mit wenigen Zwischentönen. Auch tritt das Hammerklavier kaum hervor, was wohl technische Ursachen hatte. Der Spieler, David Owen Norris, hatte es nicht einfach. Leichte Intonationstrübungen und die silbern-gläserne Färbung des Instruments eigneten sich nicht gerade für die Imitation von schneidigen Zimbalon-Klängen. Das kommt auch Haydns Klaviertrio „all’ongarese“ nicht zugute, das so beinahe als Duo zwischen Violine und Cello wirkt. Brillant und virtuos, mit schön angespitzten Sextakkorden, wenn auch gelegentlich etwas schwächelnd bei Intonation und Phrasierung, erklingt das Streichquartett op. 54/II. Dass Haydn hier, weit entfernt von plumpen Werbungsversuchen, ein hohes Kunstideal mit Meisterschaft verwirklicht hat, vermittelte das Ensemble Sonnerie mit großer Hingabe. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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