Kultur: Doppelbödig
Heinz Rudolf Kunze im Nikolaisaal
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Eine Softversion des Beatles-Songs „I want to hold your hand“ aus dem Off umschmeichelte den Vorhang der Bühne, orangefarbenes Licht tauchte die wie Soldaten aufgereihten Gitarren in einen geheimnisvollen Schatten. Kommentarlos und ruhig kam Heinz Rudolf Kunze und setzte sich an seinen Tisch, pardon, an sein Piano, um an die Arbeit zu gehen. Der Sänger mit der dunklen Brille und dem kurzen Haar vertiefte am Freitagabend im Nikolaisaal seine Wirkung als seriöser Finanzbeamter, indem er das Piano auch noch mit Aktenordnern beschwerte. Aus diesen las er immer wieder seine literarischen Texte mit einer Geste, als sei er ein Nachrichtensprecher.
Aber Kunze ist weder Finanzbeamter noch Nachrichtensprecher, er kennt sich in den Seelengängen der Menschen aus und liefert seine Weltbeobachtung mit einer astronautischen Singstimme und Texten, die surreal-sarkastisch oder überraschend zärtlich sind. Denn eigentlich war es ja ein Konzert, das da hieß: „Klare Verhältnisse – Intimbereich“. Klare Verhältnisse schaffte er mit Bedacht nicht, und wirklich intim wurde Kunze nur selten. So akzeptierte das Publikum gleich mit dem Titel die Doppelbödigkeit des Poeten, der hintergründig literarisch formuliert und sich einen Spaß daraus macht, Rätsel zu stellen. „Intimbereich“ ist die ironische Bezeichnung dafür, dass er bei seiner Tournee, die schon Anfang letzten Jahres begann, inzwischen nur noch vier Begleitmusiker hat.
Mit dem Song „Woran man mit mir war“ stieg Kunze gleich mal sibyllinisch ein. Die Vergangenheitsform führt in die Irre, wie viele seiner Verse. Kunze ist nämlich voll da, nur eben nicht so leicht zu fassen. Mit seiner persönlichen Version der Rumpelstilzchenformel „Am schönsten wär wenn niemand weiß woran man mit mir war“, singt er „das Blaue vom Himmel“ herunter. Da hat das Oberstübchen was zu tun, und Heinz Rudolf Kunze beschreibt seine künstlerisch-literarische Linie, indem er sie negiert. Die Wut des Rumpelstilzchens, das wie er seinen ganz eigenen Stiefel machen wollte, ersetzt der mildere Sänger durch Empathie, Freundlichkeit und Intelligenz.
Vielfältig ergänzt wurde der Rockpoet, der mit „Dein ist mein ganzes Herz“ seinen eingängigsten Song geliefert hat, von drei Kollegen beim „Streichelquartett“, wie er zu Beginn das Ensemble bezeichnete; gediegen in der Zurückhaltung sein langjähriger Begleiter Heiner Lürig an der Gitarre und im Background-Gesang; Matthias Ulmer agierte präzise akzentuierend am Keyboard; Martin Huch, der seinen Instrumenten, die sich Pedalsteel, Lapsteel oder Dobro nennen und allesamt Gitarren ähnlich sind, machte dem Meister ein wenig Konkurrenz. Wenn er mit seltsamen Metallteilen den meist liegenden Gitarren ganz schöne Klänge entlockte, musste Kunze die Chefposition erneut erobern.
Doch dank Brille und ausgefeilten Texten war das kein Problem: Die „Matrosen mit klitschnassen Beinen“ ließen ebenso aufhorchen wie „Die Köpfe in der Kühltruhe“. Schnell wurden Ort und Thema gewechselt. Der Sänger erlaubt sich nur abgefederte sentimentale Stimmungen wie bei „Abschied muss man üben“ und macht rasch wieder zu, wenn er, wie bei der Trauer um seinen ersten Gitarristen Mick Franke eine kleine Seelenluke geöffnet hat. Sogleich wird diese Anwandlung als Hymne an die Hörer zurückgegeben. Da bewegt er sich sogar, steht auf, singt und zeigt mit den Fingern in die Ränge, als Anerkennung, als Dank dafür, dass dieses Publikum seine vielschichtigen Texte zu nehmen bereit ist. Sogar dazu, aber da war der Abend schon weiter fortgeschritten, in den Economy-class-engen Sitzen erst mal mit dem Kopf zu wippen und in unbeobachteten Momenten mit dem gesamten Oberkörper. Das Liebeslied „Schlaf gut“ entließ die Fans mit der augenzwinkernden Aufforderung „Mach dir keine Sorgen“ in den fortgeschrittenen Abend. Lore Bardens
Lore Bardens
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