Kultur: Dreiste Lieder im Sommer
Die Kabarett-Hofsaison hat mit „Prinz Charles für Anfänger“ begonnen
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Die Kabarett-Hofsaison hat mit „Prinz Charles für Anfänger“ begonnen „Oh“ und ein „Ei" raunt durch die Stuhlreihen aus weißen Plastikstühlen, als Gretel Schulze mit ihrem Partner Andreas Zieger den Weg zur Gartenbühne sucht. Die sieht ein wenig aus wie eine russische Datsche, rote, gelbe, grüne und blaue Glühbirnen umrahmen den Pavillon. Unter Linden sitzt man hier, zumeist in Grüppchen. Das Obelisk hat den Grill angeworfen, Bier fließt. Ginge es nach äußeren Bedingungen, könnte gleich das Animationsprogramm eines Campingplatzes beginnen. Die beiden kabarettistischen Lokalmatadore gehen mit der Freiheit des Sommerfrischlers ans Werk, das „Prinz Charles für Anfänger“ genannt ist. Es reizt sie genauso wenig, an einem in Jahren zuvor bewährten Programm zu haften, wie der Umstand, dass es im engeren Sinne eine tiefere Auseinandersetzung mit dem englischen Königshaus natürlich vermissen lässt. Aber „Sommer“ heißt ja immer „light“, Urlaub, Pause, Loch, alles kann mit Sommer beginnen. Jedenfalls nichts Schweres, was anstrengend sein könnte. Schulze und Zieger wählten einen Trivialroman von Hedwig Courths Mahler mit dem Titel „Diana“, dessen Verlesung mit kabarettistischen Werkzeugen zu etwas ganz Besonderem wurde. Der Kitsch, wenn Diana von Dorneck sterbenskrank den Lothar heiraten will, damit seine so gute Familie auf dem Anwesen wohnen bleiben darf, wird mit ironischem Augendrehen und Stimme-Verstellen ganz schön auf die Schippe genommen. Und immer, wenn die Schnulze ein Stichwort zu bieten scheint, wird die Verlesung unterbrochen und losgesungen. „In Schwabing gibt´s ne Kneipe ... Schick, schick, schickeria“. Die Kabarettistin gerät in ansteckenden Schwofmodus, sie wippt zu Zieglers Pianoklängen hin und her, wirft ihren Kopf burschikos zurück wenn der Refrain wieder einsetzt und schnippt im Takt mit den Fingern. Trotz Sommerloch bleibt die humoristische Betrachtung der Tagespolitik nicht ausgespart. Denn Gysi und Lafontaine säßen auch schon in dieser Kneipe „Schick, schick, schickeria“. Andreas Zieger überlässt Schulze das Singen, seine Aufgabe ist es, mit flapsigen Bemerkungen für noch mehr Stimmung zu sorgen. Zu Angela Merkel fällt ihm ein: „Sie reißt die Bluse auf und ruft: Schluss mit den Debatten, wer will mich begatten“. Aus dem Gesamtkontext herausgelöst hört sich das geschmackloser an, als es bei einem Bier wirklich klingt. Grönemeyers „Männer“, Volkslieder, Richard Strauß, Rio Reisers „König von Deutschland“, „Ein bisschen Spaß muss sein“, „Wann wird´s mal wieder richtig Sommer“, Fanny van Dannens Nana Mouskouri-Lied. Die Kabarettisten tragen die Lieder mit erstaunlicher Ehrfurcht vor dem Originaltext vor. Nun gut, Schulzes Männer werden noch ein wenig mehr verachtet als Grönemeyers Männer, und beim Keimzeit-Hit packt einen hier noch stärker das Fernweh nach Feuerland: „Bloß von hier weg, so weit wie möglich“. Nur einmal, beim von Gretel Schulze mit jiddischem Witz großartig komisch-traurig vorgetragenen „Se is ein herrliches Weib, se is ein köstliches Weib“, das leider weder lesen, denken, tanzen, noch kochen kann, purzelte das sommerlaue Programmniveau auf ein ungeahnt lyrisches Hochplateau, das in die kabarettöse Klamottigkeit des Abends nicht so recht hineinpassen wollte. Ein bunter Abend unter Bäumen, dessen Höhepunkt sicherlich war, als Schulze die alten Töne von „Willst Du mit mich gehen“ parodistisch verfremdet vortrug, das Publikum wieder fröhlich mitklatschen konnte und die Kabarett-Diva die Bühne verließ, durch die Reihen ging um bald jeden einzeln zu fragen. Dem Applaus zu urteilen wollten alle mitkommen, „Licht und Schatten zu verstehen“. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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