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Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2015: Dreistündiges Hochamt für die Seele

"The Rare Fruits Council" spielte Bibers "Rosenkranz"-Sonaten im Palmensaal.

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Wahrlich ein mysterienumwobenes Werk sind sie, jene 15 Sonaten für Violine und Basso continuo nebst einer finalen Passacaglia für Violine solo, in denen Heinrich Ignaz Franz Biber die Mysterien des katholischen Rosenkranzgebetes in Klang verwandelt hat.

In je fünf „freudenreichen“, „schmerzhaften“ und „glorreichen“ Sonaten meditiert der barocke Geigenvirtuose und Komponist von der Verkündigung Mariä Empfängnis über die Leidensstationen ihres Sohnes bis zu Mariens Himmelskrönung über diverse Glaubensgeheimnisse. Längst zählen diese auch als „Rosenkranz“-Sonaten benannten Stücke zu den Highlights virtuoser Geigenkunst. Vieles in ihnen bleibt geheimnisumwittert und rätselhaft. Wer kürzlich das „Biber im Dialog“-Konzert mit dem Ensemble „La Risonanza“ in der Klein-Glienicker Kapelle besucht hat, der ist danach bestimmt auf den Hörwunsch nach dem kompletten Zyklus gekommen.

Am vergangenen Freitag und Samstag boten die Musikfestspiele im Palmensaal der Orangerie im Neuen Garten die Gelegenheit dazu. Als emotionaler Assoziationshelfer betätigte sich dabei das Ensemble „The Rare Fruits Council“, das mit seinem ungewöhnlichen Namen als „Rat für exotische Früchte“ für diverse Klangköstlichkeiten bürgt.

Auf einem podiumsplatzierten Beistelltischchen liegen drei Geigen. Wie sich herausstellen wird, sind sie alle verstimmt. Was allerdings für die stilgerechte Wiedergabe von 14 der „Rosenkranz“-Sonaten unabdingbar ist. Doch woher 14 verstimmte Geigen nehmen, fragt Barockviolinist Manfredo Kraemer. Also müsse er die vorhandenen nach jedem Gebrauch um-, das heißt verstimmen. Was der Fachmann Scordatur nennt, verheißt dem Publikum ungewöhnliche, mitunter sogar schräge Klangerlebnisse. Doch zunächst greift Don Manfredo zu einer normal gestimmten römischen Geige anno 1734, um mit lauffreudigem Passagenwerk und voller kraftstrotzender Virtuosität der ersten Sonate „Die Verkündigung“ die entsprechende Wirkung zu verleihen. Vibratolos entstehen geschärfte Klänge. Rauschhafte Zutaten liefern hier wie auch später Luca Guglielmo auf Cembalo beziehungsweise Truhenorgel, während Theorbist Xavier Diaz für prägnante Zupfakkordzutaten sorgt. Dagegen betreibt Balázs Máté auf seinem celloähnlichen Basso di violino sonores Streichen. Dann, ab der zweiten Sonate „Marias Besuch bei Elisabeth“, nehmen die Verstimmungen ihren Lauf, greift der Solist wechselweise zu zwei Kopien einer Stradivari von 1799 – gebaut 1999 in Cremona und 2009 in Budapest.

Mit geradezu fingerbrecherischer Bogenakrobatik, makelloser Intonation und affektberstender Ausdrucksintensität durchmisst er die irdisch-leidenden und himmlischen Episoden im Leben von Jesus und Maria. Das Zusammenspiel mit den anderen Musikern gerät wie aus einem Guss. Faszinierend, wie sie die unterschiedlichsten Charaktere klangfarblich differenzieren. Stimmungswechsel inklusive. Was sich aus mehreren kurzen Sätzen, basierend auf barocktypischen Suiten-Tänzen, zu facettenreichen Klanggebeten formt, wird insgesamt zu einem über dreistündigen Hochamt für die Seele. Man überzeugt mit frappierender Rhetorik, zieht in den Variationen, die im Mittelpunkt jeder „Rosenkranz“-Sonate stehen, alle denkbaren Verzierungsregister, liebt die raffiniertesten Rhythmus- und Tempowechsel. Und legt mit einer Cembalo-Passacaglia von Georg Muffat und der „L’Ambitiosa“ genannten Canzona für ein Bassinstrument von Girolamo Frescobaldi zwei Kuckuckseier ins Biber-Nest. Letzteres wird vom Bassgeiger Balázc Máté als ein sonores, klangvoluminöses, sehr reizvolles Zwiegespräch mit Truhenorgel und Theorbe geführt. Für das insgesamt äußerst plastische und lebendige Musizieren wird der „Rat für exotische Früchte“ beifallsreich bedankt. Peter Buske

Mehr über die Musikfestspiele erfahren Sie HIER >>

Peter Buske

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