Kultur: Druck und Gegendruck
Das T-Werk greift mit dem Lehrer-Schüler-Drama „Aussetzer“ Probleme des Schulversagens auf
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Chris ist ein harter Brocken. Während die junge Lehrerin Julika Stöhr mit den Frech- und Dummheiten der anderen Schüler ihrer neunten Klasse irgendwie umzugehen gelernt hat, macht ihr der sechzehnjährige Christopher schwer zu schaffen. Sie spürt es genau: „Der schiebt eine riesige Wut vor sich her.“
In dem Lehrer-Schüler-Drama „Aussetzer“, das in der kommenden Woche im T-Werk Premiere hat, wird die von Kristin Becker gespielte Lehrerin diese Wut schmerzhaft zu spüren bekommen. Als sie Chris die Bitte ausschlägt, ihm statt einer verdienten Fünf eine Drei zu geben, damit er seinen Hauptschulabschluss schafft, verliert er die Beherrschung, wirft seine Lehrerin zu Boden und tritt zu.
Ist dies tatsächlich nur ein „Aussetzer“? Oder bittere Folge anhaltender Schulfrustration und der Demütigungen des Vaters, der Christopher (Andreas Bussmann) schon längere Zeit als Totalversager abgeschrieben hat?
Der Berliner Theaterautor Lutz Hübner, der unter anderem das im T-Werk erfolgreich aufgeführte Jugendstück „Scratch“ geschrieben hat, erzählt in „Aussetzer“ die Geschichte zweier Menschen, die dem Druck im „System Schule“ nur mit Gegendruck begegnen können und deshalb scheitern müssen. Er erzählt es so, dass der Zuschauer die Gelegenheit bekommt, sich in die Fragen, Ängste und Nöte sowohl der Lehrerin als auch des Schülers hineinzuversetzen und den Konflikt aus der jeweils anderen Perspektive wahrzunehmen. „Das Stück verurteilt nicht, ergreift nicht Partei“, sagt Regisseurin Yasmina Ouakidi, die in ihrer Inszenierung die zwischenmenschlichen Vorgänge und die Motive beider Personen ausleuchten will.
Von jeher sieht sie das Jugendtheater im T-Werk als dokumentarischen Raum, als Ort, an dem sich Heranwachsende immer auch mit der eigenen Lebenswirklichkeit auseinander setzen können. Yasmina Ouakidi, die seit der Neustrukturierung des T-Werks als eigenständiges, Generationen übergreifendes Theater für die Jugendsparte verantwortlich ist, will künftig viel stärker als bisher Schüler und junge Erwachsene einbeziehen. So sitzen jetzt häufiger Nachwuchsschauspieler der Theatergruppen „Scharfe Sterne“ und „Havarie light“ in den Proben, als kritische Beobachter und Kommentatoren. Sie selbst steuern zum Programm des T-Werks zwei Stücke bei, die sie aus eigenen Erfahrungen heraus über Improvisationen entwickeln. Die 13 bis 17-Jährigen bei den „Scharfen Sternen“ beschäftigen sich derzeit mit Ängsten. Und die etwas Älteren in der Gruppe „Havarie light“ arbeiten zum Thema „Selbstverwirklichung“. Im Juni zeigen sie, was dabei herausgekommen ist.
Wie es indes mit dem, bisher im T-Werk ansässigen, Theater Havarie e.V. weitergeht, ist unklar. Nach personellen Veränderungen in dessen Vereinsvorstand stehen Gespräche über die künftige Zusammenarbeit mit dem T-Werk noch aus. Die theaterpädagogischen Angebote des Hauses werden dadurch jedoch nicht beeinträchtigt.
Im Gegenteil. Rund um das neue Stück „Aussetzer“ ist das Begleitprogramm so vielfältig wie noch nie. So können Schulklassen in einem fünftägigen Theaterworkshop ihre Konflikte schauspielerisch be- und verarbeiten. Unter dem Arbeitstitel „Schulgeschichten“ sollen Szenencollagen entstehen, die am Ende der Woche öffentlich aufgeführt werden.
Daneben bietet das T-Werk einzelne Projekttage an. Der im Theater erlebte Konflikt zwischen dem aggressiven Christopher und seiner verzweifelten Lehrerin dient hier als Ausgangspunkt für die Diskussion konkreter Probleme aus dem Schulalltag.
Erstmals sind auch die Eltern eingeladen, mittels eines Theaterstücks über Erziehungsfragen ins Gespräch zu kommen. An einem „Elternabend im Theater“ können sie über mögliche Ursachen jugendlichen Leistungsversagens oder den Umgang mit Misserfolgserlebnissen ihrer Kinder diskutieren.
Nicht zuletzt fordert „Aussetzer“ die Pädagogen heraus, sich mit ihrer Position im konfliktbeladenen „System Schule“ auseinander zu setzen. So wird es im T-Werk Fortbildungen geben, die mit der jungen Lehrerin Julika Stöhr danach fragen: „Was mache ich in diesem Beruf eigentlich?“ Antje Horn-Conrad
Premiere: T-Werk, Fr 20.2., 20 Uhr
Antje Horn-Conrad
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