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Kultur: „Du bist aller Dinge schön“

Esslinger Kammerchor sang in der Friedrichskirche Babelsberg das Hohelied der Liebe

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Chöre sind doch seltsame Gebilde. Die einen proben monatelang für wenige Auftritte, andere nehmen die Beschwerlichkeit einer weiten Reise für ein einziges Sonderkonzert in der Ferne auf sich. So hielt es der Esslinger Kammerchor in der Friedrichskirche auf dem Babelsberger Weberplatz.

Durch persönliche Kontakte vermittelt, kam das 32köpfige a-capella-Ensemble aus dem Württembergischen nach Babelsberg, um Vertonungen des Hohen Liedes Salomonis von der Renaissance bis zur Gegenwart vorzutragen. 1973 gegründet, weiß man sich der Tradition von Hugo Distler und Helmut Bornefeld verpflichtet, was sich in der Programmfolge ostentativ widerspiegelte: Neben Melchior Franck, Jacob van Eyck und Georg Philipp Telemann hörte man zeitgenössische Kompositionen von Yehezkel Braun, Ivan Moody und Hans-Martin Linde, dessen „Märchen“ die mitgereiste Flötistin Sally Turner mit einer ungewöhnlichen musikalischen Mischung auf mehreren Flöten recht originell interpretierte.

Schön, wenn ein Chor über all dem Tradierten die neuen Komponisten nicht vergisst. Kurt Enßle''s erst vor wenigen Jahren geschriebener „Little Lovesong“ rahmte die historischen Giganten der Kompositionskunst mit ganz fremden und höchst verwunderlichen Tonfolgen á la Cage ein: „Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen und bei den Hinden des Feldes: Stört nicht die Liebe, schreckt sie nicht auf, bis sie selbst es will“ nach dem Hohelied der Liebe. Er verwendet sowohl Kirchentonfolgen als auch Sprechgesang – ein chorales Pfeifkonzert für mehrere Stimmen war inbegriffen. Auf der einen Seite Melchior Francks „Du bist aller Dinge schön“ und das etwas bieder geratene „Ego dormio“ von Heinrich Schütz, auf der anderen die Lebhaftigkeit der neueren Zeit, bei den drei Titeln von Moody (geb. 1964) zum Beispiel. Der atmosphärische Grundtenor aller Beiträge war die Darstellung von Liebe, wie man sie im Hohelied vermutet, ohne der „anderen“ Seiten Salomos hinreichend zu gedenken.

Das Kammerensemble, einer von vielen Chören Esslingens, ging wie man hörte, aus einer Kirchenmusikschule hervor. In ihm singen sowohl gut ausgebildete Amateure als auch Musik- und Gymnasiallehrer, sogar Kirchenmusiker. Neben dem vorgestellten Breitband-Repertoire studiert man alle zwei Jahre ein größeres Oratorium ein, aber „Neues, Verrücktes“ gehöre auch dazu, meinte Chorchef Fabian Wöhrle, der zur Zeit an seinerAusbildung als Kirchenmusiker arbeitet.

Er achtet sehr auf Werktreue, auf ein geschlossenes Klangbild, auf harmonische Ausgewogenheit der Stimmen, auf Handwerk, Ausdruck und eben Temperament. Wenn auch nicht jeder Vortrag des etwa neunzigminütigen Konzertes frei von Ungenauigkeiten frei blieb, so zahlt sich „Elastizität“ im Künstlerischen offenbar genauso aus, wie im Chorleben selbst: Man überfordert sich nicht, man kommt auch so gut durch die Welt, sogar bis nach Babelsberg und Berlin. Leider war die Friedrichsgemeinde wohl zu arm, den extra für sie angereisten Gästen ein paar Blumen zu spendieren. Gerold Paul

Gerold Paul

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