Kultur: Du bist Potsdam!
Premiere des neuen Kabarett-Programms
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„Lebst Du noch oder lachst Du schon?“ In Abwandlung des bekannten IKEA-Motto („Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“) lud das Potsdamer Kabarett mit seinem neuesten Programm das ausverkaufte Satire-Theater ein, angeleitet durch das Ensemble eine höhere Seinsstufe zu erreichen. Erlösung durch Humorsubstanziierung. Kabarettisten sind – so scheint es vor allem in Zeiten der großen Koalition – auf jeden Fall die besseren Menschen.
Gretel Schulze und die bewährten Männer an ihrer Seite, von der Potsdamer „Grande Dame des Jokus“ liebevoll „ihre von Jamaica-Rum durchzogene Schwampel“ genannt, Andreas Zieger und Helmut Fensch, singen und ulken gegen den Werteverfall. Zieger, mimisch schon mit Naturkomik gesegnet, behauptet von einer äußerst robusten Ost-Depression betroffen zu sein, zitiert Melancholisches von Hesse und Rilke und fühlt sich „frei und zwecklos, wie die Liebe“. Wenn seine charmante, Dackelblick verstärkte Subversion nur öfter aufblitzten würde.
Überhaupt der Osten. Auch das neue Programm, so scheint es, will dem ethnologisch interessierten Touristen eine Lehrstunde erteilen, wo er sich gerade befindet. Da wendet sich Schulze unvermittelt an einen Zuschauer in der ersten Reihe: fragt, „Wessi?“, und als er nicht antwortet, „Hüllt sich in Schweigen. Na ja, ist ja kein Bewerbungsgespräch.“ Und die „Ost-Tusse“ Merkel tue permanent so, als ob sie im Westen groß geworden wäre.
Das Publikum des Obelisken, das ist Schulzes höchstpersönliches. Es ist durchaus schön zu beobachten, wie gerne hier mitgelacht wird. So viel, so genüsslich, das man sogar von regelrechtem Mitleben im ikea“schen Sinne sprechen möchte.
Die Songs, immer schon das Herzstück eines Obelisk-Abends, wirken musikalisch noch nicht kompakt genug, eher ausgefranst. Letzte Ausflucht Kinderreim und Volkslied: „Eene, meene, Merkel“ heißt es in dem Refrain einer rockigeren Nummer, und dann abgewandelt „Eene, meene Mopel, morgen fliegst du raus bei Opel.“ „Von den blauen Bergen kommen wir ...“ hatte man auch lange nicht mehr gehört.
Amüsant, wie Fensch zu Joachim Witts „Goldenem Reiter“ den durchgedrehten Siemens Entwickler gibt, der ein antiautoritäres Navigationssystem entwickelt hat. „Hey Junge“, imitiert Schulze urkomisch und trocken die sanfte Navi-Stimme, „du kannst jetzt hier abbiegen – musste aber nicht.“ Von diesen Momenten wünschte man sich noch mehr. Weniger jedoch Füllverse der Qualität von „mit Getöse explodiert die Friteuse.“
Die Effizienz der Kirche wird von einem „Firmenpathologen“, sprich Unternehmensberater Zieger, untersucht. Trotz gut ausgebildeten „Bodenpersonals“ macht er Fehler im Marketing aus. Keine Prospekte über das Paradies, keine Reiserücktrittsversicherung. Wieso keine Chatrooms „diesseits-jenseits“ einrichten?
Schulzes beste Nummer ist die der derben Krankenschwester, die Politikern gewöhnlich als statistische Bezugsgröße dient. Hier kann sie ihre „Kodderschnauze“ austoben. Die große Koalition ist für sie wie bei einem alten Ehepaar im Bett. „Sie will schlafen, er ist spitz wie Lumpi.“ Wozu für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe eintreten? Es reiche doch, wenn die Bundesregierung eine neue Gesundheitsreform plane.
Je weiter das Obelisk-Trio nach Berlin in die große Politik schaut, desto mehr verschwimmt ihre Komik zu dem auf die Dauer faden Stoiber“schen „Äh, äh, äh.“ Bleiben Schulze, Zieger und Fensch in ihrer Welt, die immer noch Brandenburg und Potsdam heißt, kann das Lachen das reine Leben tatsächlich ablösen. Wenn Platzeck in Finsterwalde-West eine Rede anlässlich der Eröffnung eines Aldi-Marktes hält, oder wenn es in einem Lied heißt „Sweet Home, Treuenbrietzen“ und wir nicht in „Alabama“ sind. Oder wenn die Image-Kampagne der Bundesregierung auf den Arm genommen wird: „Du bist Vockerode!“ Dann kann man sogar darüber lachen, wo man wohnt – und lebt.
Matthias Hassenpflug
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