Kultur: Duell der Akkorde
Ekstatischer Wirbel: Los Otros im Nikolaisaal
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Hier besteht Klärungsbedarf. Auf der linken Seite Steve Player, Tänzer und Xaranxas-Spieler, auf der rechten Patricio Hidalgo, Sänger und ebenfalls Xaranxas-Spieler. Und jeder will der Hahn im Korbe sein. Minutenlang schon tobt der Fandango auf der Bühne im Nikolaisaal. Das Trio Los Otros und sechs mexikanische Musiker im Gruppentaumel, geben ein Inferno auf über 60 Saiten. Doch wo sieben Männer auf zwei Frauen treffen und sei dies nur im musikalischen Sinne, scheint Mann nicht ohne das übliche Balzverhalten auszukommen. Und so stehen Steve Player auf der linken und Patricio Hidalgo auf der rechten Seite der Bühne, jeder mit herausgestreckter Brust und herausforderndem Blick, bereit für das Duell der Akkorde.
Die Waffen sind gewählt. Jeder hält seine Xaranxas-Gitarre bereit, die mit ihrem kleine Korpus an die mehrchörige, europäische Barockgitarre erinnert. Und dann geht es los. Tempo-, Akkord- und Rhythmuswechsel, mal ganz behutsam, dann aberwitzig schnell, hauen sich Steve Player und Patricio Hidalgo um die Ohren. Die übrigen Musiker lassen sich anstecken und zusammen treibt man den Fandango zur nächsten Ekstase. Dann zeigt sich ein feines Lächeln bei Steve Player, das sich immer mehr zum breiten Grinsen entwickelt. Auch Patricio Hidalgo hat sich von seinem ernsten Gesichtsausdruck verabschiedet. Die beiden Kontrahenten verstehen sich prächtig und gehen noch einmal kräftig in die Saiten. Wer will sich hier schon ernsthaft streiten, schließlich geht es um Musik. Los Otros und die Mexikaner geben dem Fandango die Sporen, und treiben das längst überhitzte Biest noch einmal über die Bühne, um es dann, mit ein paar sanften Akkorden, zur Ruhe zu betten. Im Publikum Begeisterung.
„La Hachas“ heißt der musikalische Kulturaustausch den Los Otros und die mexikanischen Musiker am Samstag im gut besuchten Nikolaisaal präsentieren. Die Kolonisation Lateinamerikas in der Frühen Neuzeit vor allem durch Portugal und Spanien hat auch musikalische Spuren hinterlassen, auf beiden Seiten. Auf ihren Aufnahmen „Tinto“ (2002) und „Aguirre“ (2004) ist das Trio Los Otros diesen Spuren nachgegangen. Mehrere Reisen nach Mexiko haben die Gambistin Hille Perl, den Lautenisten Lee Santana und Steve Player mit mexikanischen Musikern aus Veracruz zusammengeführt. Ihr gemeinsamer „ibero-mexikanischer Fandango“ im Nikolaisaal gestaltet sich dann als eine Art Zeitreise von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart.
Mit zwei Stücken von Diego Ortiz (1510-1570), Komponist und Gambist am spanischen Königshof, und einem Volkslied aus der Region Veracruz eröffnen die Musiker den Abend. Dieses Miteinander von europäischen und mexikanischen Kompositionen wird das ganze Programm durchziehen. Und oft genug ist es nicht einfach, die Stücke auseinander zu halten, weil ihnen so viele Elemente gemeinsam sind.
Es folgen gut zwei Stunden zwischen Klageliedern und explosivster Ausgelassenheit. Akzente in diesem Kulturaustausch setzt Hille Perl mit ihrem samtweichen Ton auf der Viola da Gamba. Mit der Zeit verliert sich auch das anfängliche Gefühl, dass die oftmals antreibende mexikanische Volksmusik in der Konzertsaalatmosphäre des Nikolaisaals ein wenig wirkt wie ein niedlicher Folklorezirkus. Am Ende mit einem wilden Chuchumbé, komponiert von Patricio Hidalgo, dann Ausgelassenheit pur. Geballte Saitenattacken, Soloeskapaden, mehrstimmiger Gesang und natürlich auch, dieses Mal rein tänzerisch ausgeprägtes, männliches Balzgehabe. Dirk Becker
Dirk Becker
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