Kultur: Duett der alten Damen Inge Keller las
Eva Strittmatter
Stand:
Es sind nur wenige Jahre, die sie voneinander trennen. Dergestalt paßten die Lyrikerin, die 80-jährige Eva Strittmatter, und ihre mitfühlende, meist auch mitleidende 87-jährige Interpretin Inge Keller im halbbesetzten Nikolaisaal gar nicht so schlecht zueinander, als es am Freitagabend darum ging, das 80. Jubiläum der ersten nachzufeiern. Das war in Berlin längst geschehen, doch scheute das Brandenburgische Literaturbüro keine Mühen, dieses Leseprogramm nach Potsdam zu holen. Ob das wirklich nötig war, bleibe mal außen vor, nicht jeder ist schließlich ein Fan von Erwin Strittmatters Frau.
Inge Keller kam nicht herein, sie wurde von Hendrik Röder vom Literaturbüro am Arm geführt. Das Parkett grüßte herzlich. Als trotz der Bitte, die Handys auszuschalten, doch eines ein Klingeln wagte, drohte die schlohweiße Dame im cremefarbenen Hosenanzug zuerst ein „Naa!“ herunter, dann, fokussiert: „Du oder Ich, merk dir das! Einer geht ab. Fangen wir an?“ Ach, reizendes Alter!
Dann ging es los mit einem fast über 70 Minuten langem knochen-trockenen Memorial. Daraus erstand sehr bald, wie ein weltlich orientierter Mensch Probleme mit Alter und Tod bekommt. Ja, selbst noch mit dem eigenen Leben, und dass ein derart lang angelegtes Selbstfindungsprogramm, wie Eva Strittmatter es sich verordnet hat, offenbar auch mit 80 noch nicht abgeschlossen ist. Natürlich war dieser Abend auf Konsenz ausgerichtet, zur Jubilarin, die sich entschuldigen ließ, zur Schauspielerin, die sich wohl nicht entschuldigen wollte. Der Abende endete mit einem fast einmütigen Steh-auf-Kotau, huldvoll von oben entgegengenommen. Dabei war dieser fahle Vortrag mehr und mehr zu einem Abgrund an Trauer geraten, an Fragen, die sich jeder nicht stellt, weil es neben Eva Strittmatter noch anderes Leben gibt, zu einer Parade unerlöster Probleme, welche meist von sich selber reden, um Welt zu meinen. Tod ist schöner als Leben!
Viele identifizieren sich mit Eva Strittmatter. Inge Keller hat sich ohne jeden Abstand in ihren Dienst gestellt, Lyrik und Texte der Schulzenhoferin derartig verinnerlicht, als seien es ihre. Eva Strittmatters Gedanken quälen sich zwischen Pflicht und Aufruhr, zwischen Dienstbarkeit und Selber-Sein, nachdem die 22-Jährige sich ja unbedingt den Erwin angeln mußte, Anfang der 50-er Jahre. Alles sucht den Ausgleich in diesem Leben, manchmal ist deshalb auch Leiden dabei. Die Schauspielerin also verinnerlichte die konfuse Gefühlswelt der Lyrikerin nach Art ihres Berufes zu 100 Prozent, betonte mal das „T“ über die Maßen, tremolierte an mancherlei Stellen, nutzte Nasales, schmunzelte mit leichtem Tiefsinn in sich hinein, wandelte „e“ in „ä“. Vor allem ihre endsatzbetonten Vibrati machten manche Zeile ungenießbar.
Gut, dass ihr Vortrag nicht länger währte, sein hehrer Gleichklang hätten in Langeweile umschlagen können, das Greinen und Klagen der unerfüllten Eva wohlmöglich in Missmut. Ihr General-Lamento ist ja nicht das Ende vom Leben. Selbst im Duett der alten Damen nicht. Kein Abstand!! Insofern war es Inge Kellers Programm, Evas Fragen waren ihre Fragen. Gerold Paul
Gerold Paul
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