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Kultur: Dünne Beine, fette Töne

Die Nils Wülker Group hat die Jazztage eröffnet

Stand:

Klare Linien, gerade Achsen, zwei helle Stimmen: Eine Trompete und ein Saxophon umspielen bluesrockige Bassläufe, knisternde Jazzrhythmen und die hellen glockigen Akkorde von einer Fender Stratocaster, auf dieser E-Gitarre hat schon Jimi Hendrix gespielt. Heute singt sie Jazz.

Fünf Paar lange dünne Hosenbeine sind auf der Bühne zu sehen. Zwei davon stemmen sich gerade durchgestreckt in den schwarzen Boden, sie bilden eine Achse vom vorderen Bühnenrand zum hinteren, von Nils Wülker an der Trompete zu Edward Maclean am E-Bass. Vier Beine können nicht stillhalten, zappeln unentwegt, die Knie wackeln, die Füße trippeln auf jeder Note, die Oberkörper sind gebeugt, Finger rasen über Klappen und Tasten: Jan von Klewitzt spielt das Saxofon als wolle er sich das Instrument vom Leibe reißen, er bläst bis sein Kopf so rot wird wie die Rhodes, ein Tasteninstrument, hinter dem Lars Duppler ganz links auf der Bühne sitzt, wenn er nicht den Flügel spielt. Das fünfte Paar Beine steht ganz rechts außen und gehört Arne Jansen an der E-Gitarre. Seine Beine gehören eher zu den ruhigeren, aber sie stehen nie ganz still. Das sechste und letzte Paar ist unsichtbar, Jens Dohle schlägt den Takt halb verdeckt von der großen Basstrommel des Schlagzeugs, auf welcher der Name der Band zu lesen ist, die an diesem regnerischen Donnerstagabend in der Reithalle die Potsdamer Jazztage eröffnet: Nils Wülker Group.

Zu Wenige haben den Weg in den kleinen Saal gefunden, der einen mit seinen Holzwänden und kleinen runden Tischen heimelig willkommen heißt, auch wenn sich draußen der Sommer verabschiedet, während der Veranstalter hinter dem Kartentresen Salzstangen kaut. Ob sich dieses Konzert für ihn gelohnt hat? Die zwei Duzend anwesenden Zuhörer werden sich jedoch gerne an den Abend erinnern. Nicht nur weil dieser Saal eine tolle Akustik hat, jedes noch so leise Glöckchen und Rasseln im ganzen Raum zu hören ist, die Töne so warm und voll und dazu gestochen scharf klingen, sondern weil dieses Eröffnungskonzert der Jazztage, wie schon im letzten Jahr, ein besonderes Konzert mit besonderen Künstlern war.

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Nils Wülker das letzte Mal in Potsdam gespielt hat. Damals war er noch Student an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler. Seitdem wurde er als die große Hoffnung des deutschen Jazz von den Kritikern gepriesen, mit dem Vorzeigetrompeter Till Brönner verglichen, hat ein eigenes Label „Ear Treat Music“ gegründet und sechs Alben mit Eigenkompositionen herausgebracht. „Six“ heißt das aktuelle, das er gerade auf einer Club-Tour quer durch Deutschland präsentiert hat. Der Trompeter mit dem goldblonden Haar strahlt eine Gelassenheit aus, die ohne Extravaganz auskommt. Seine Band klingt nicht nur beherrscht und eingespielt, sie ist so gut aufeinander abgestimmt, dass man die stille Kommunikation beobachten kann: Ein anerkennenden Blick des Gitarristen bei einer spontanen Improvisation oder das Lächeln, mit dem sich Schlagzeuger und Pianist gegenseitig anfeuern. Auch wenn Nils Wülker hinter der Bühne Mittelpunkt und Namensgeber der „Nils Wülker Group“ ist, auf der Bühne gibt es nur die Band.

Undine Zimmer

, ine Zimmer

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