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Kultur: Durch die amerikanische Brille

„Verwehte Spuren. Das Haus an der Brücke“: Die Villa Schöningen im Märkischen Verlag

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„Verwehte Spuren. Das Haus an der Brücke“: Die Villa Schöningen im Märkischen Verlag Von Erhart Hohenstein Amerikanische Interessenten kennen das Buch schon seit 1995. Nun, fast ein Jahrzehnt später, legt der Märkische Verlag Wilhelmshorst Katie Hafners „Verwehte Spuren. Das Haus an der Brücke“ über die Villa Schöningen in deutscher Übersetzung vor. Die Journalistin, die unter anderen für die New York Times schreibt, erwähnt die landschaftsprägende Bedeutung der 1843 - 1845 durch Ludwig Persius errichteten Villa, lässt sich aber nicht auf eine längere kunsthistorische Betrachtung ein. Auf den Garten geht sie etwas ausführlicher ein, denn der rückte durch den jungen Landschaftsarchitekten Dirk Heydemann, der ihn 1991 in seiner Diplomarbeit dem Mitarbeiter Lennés, Gustav Meyer, zuordnen konnte, in den Blickpunkt der Fachleute. Katie Hafner interessieren vornehmlich die Bewohner des Hauses an der Glienicker Brücke, das für den Hofmarschall des Prinzen Carl von Preußen, Kurd Wolfgang von Schöning, errichtet worden war. Sowohl die Schönings wie auch die Bankerfamilie Wallich, die das Gebäude ab 1878 zunächst als Sommersitz nutzte, haben Nachkommen hinterlassen, die von der Autorin intensiv befragt wurden. Ebenso wenig hat Katie Hafner das Personal des ab 1951 in der Villa eingerichteten Kinderwochenheims ausgelassen. Im Ergebnis entfernt sie sich oft weit von ihrem Gegenstand, folgt den Spuren der in den 30er Jahren als Juden aus Deutschland vertriebenen Wallichs bis in die USA, nach Argentinien und Südafrika oder taucht mit einer unangepassten Erzieherin in die Potsdamer alternative (Musik-)Szene der 80er Jahre ein. Auf diese Weise wird das Buch auch zu einer Darstellung des politischen Alltagslebens in der DDR, freilich durch die amerikanische Brille und damit manchmal etwas verzerrt gesehen. Angeblich aßen wir „eine geschmacklose, schmierige Abart der gewohnten deutschen Kost aus vergangenen Jahrzehnten“, schreibt die Autorin, die immerhin aus dem Mutterland des Fastfood kommt. Die bis in sehr persönliche Details führenden Gespräche mit und über die Betroffenen, die meist mit vollem Namen genannt werden, gibt Katie Hafner unverblümt wieder und zeichnet u.a. von einer Heimleiterin und der ersten Bildungsdezernentin der Nachwendezeit recht negative Bilder. Auch einige Wallichs, die sich nach der Wende nicht entschließen konnten, das Schicksal der rückübertragenen Familienvilla wieder in die eigenen Hände zu nehmen,werden kritisch gesehen. Andererseits gelingt Katie Hafner so eine fesselnde, oft anrührende Darstellung. Als Beispiel dafür steht Paul Wallich. Er weigerte sich, seine geliebte deutsche Heimat zu verlassen; als ihm die Nazis darin keinen Platz mehr ließen, stürzte er sich in Köln von einer Rheinbrücke in den Tod. Seitdem scheint ein Fluch über der Villa zu liegen. 1961 geriet sie ins Grenzgebiet: Mit angelegtem Gewehr überwachten Scharfschützen der Stasi von hier aus den Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke. Seit 1992 steht das Gebäude leer und verfällt immer weiter. Der historische Garten verwilderte, eine wertvolle Skulptur der Athena wurde bei einem Diebstahlversuch zerstört. Dass der Wallichschen Erbengemeinschaft 1997 doch der Verkauf an ein Immobilienbüro gelang, brachte der Villa keinen Segen. Nach wie vor konnte kein Nutzer für sie gefunden werden. Dirk Heydemann hatte vorgeschlagen, Haus und Garten originalgerecht zu restaurieren und ein Dokumentationszentrum zur Geschichte der Garten- und Landschaftsgestaltung einzurichten, das mit einer touristischen Informationsstelle für die von Berlin herüber kommenden Besucher verbunden werden könnte. Bei der Erbengemeinschaft, die einen möglichst hohen Verkaufserlös erzielen wollte, löste dieser Vorschlag keine Freude aus. Und auch zehn Jahre später bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Katie Hafner, Verwehte Spuren. Das Haus an der Brücke, Märkischer Verlag Wilhelmshorst, 2004

Erhart Hohenstein

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