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Kultur: East Side Story

Oxymoron auf den 1. Potsdamer Kindertanztagen

Stand:

Oxymoron auf den 1. Potsdamer Kindertanztagen Tutu oder Jeans, Break-Dance oder klassisches Ballett, Absondern oder Mitschwimmen, Liebe oder Hass. Der junge Mensch hat es nicht leicht, in einer von Gegensätzen angefüllten Welt zu einer Entscheidung zu kommen. Geht nicht beides zugleich, und sollte man nicht einfach alles auf einmal probieren? Diese Fragen stellte sich unter der Regie von Anja Kozik, bewährte Leiterin des Tanzstudios Offizze im Waschhaus mit ihrem „multimedialen Labor“ aus 14 Nachwuchskünstlern, Tänzern, Breakdancern, Video- und Klangartisten. Vor einer schier atemberaubenden Zuschauerkulisse von 300 Zuschauern in der Russenhalle, dem dunklen, kalten Hallenungetüm am Kulturstandort Schiffbauergasse, zeigte die Gruppe mit Mut zur Modernität, Leidenschaft für Bewegung und einer großen Portion Akrobatik den Weg der Ich-Werdung, den Veschmelzungsprozess mit den verfluchten Gegensätzen zu einem gelebten, besser: getanzten „Oxymoron“, einer sprachlichen Figur, die widersprechende Begriffe vereint. Grundlage für die Choreografie war ein Gedicht von Klaus Kinski, der seine eigene Zerrissenheit in Strophen fasste. Der Kontrast wird schon an den Kostümen deutlich. Die anmutigen Tänzerinnen aus Anja Koziks Kursen, verstärkt durch drei Professionelle, trugen Ballettröckchen, doch darunter als „Streetware“ Jeans. Zu verstörend synthetischen Beats stolzieren die Girls über die Bühne und nehmen schüchtern Kontakt mit den Jungs auf: den Breakdancern und Hip-Hoppern. Im Tanz nähert sich die Klassik der Mädchen den Drehungen und Windungen in Bodennähe der Jungs an. Verschmelzung. Anja Kozik und ihren Ko-Choreografen Daniel Förtsch und Sven Till gelingen rasante, ungestüme Bilder, die durch Videotechnik verfremdet werden. „Licht“ ruft eine Tänzerin, die sich am Boden windend den Kraft betonten Tanzbewegungen der Straßenjungs nähert, und auf der Leinwand über den Köpfen erscheint ihr Bemühen wie das einer Schlange, die auf glitschigem Grund nicht vorwärts kommt. Einiges erinnert an eine Adaption der „Westside Story“: da stehen sich zwei Gruppen in einem Battle gegenüber, immer wenn eine Mütze in den Lichtkegel geworfen wird, steigt ein Breakdancer in den Ring und zeigt, was er kann. In diesen – den stärksten Momenten – ist das Publikum mit dabei, mit auf der Straße und applaudiert zu den halsbrecherischen Figuren. Die Rückwand der Bühne dient als deren Verlängerung, auf Video nehmen andere Streetjungs in Übergröße an dem Kampf teil. Irgendwann hat man sich angenähert und ist bereit, sich im modernen Pas-de-Deuxs paarweise zu berühren. Ballettmädchen rollen sich auf dem Boden, vier Jungs üben sich in Synchrontanzen – wo doch beim chauvinistischen Betondrehen die Individualität, das König-Sein alles ist. Am schönsten das Bild, als die grazile Joy Ritter mit einem schwarzen Schatten ihrer Selbst über die große Bühne tanzt. Sie will ihre böse Hälfte loswerden. Nur der Kopie des Paares, auf die Leinwand geworfen, gelingt, was in Realität nicht funktioniert. Ein Teil erstarrt, der andere rudert weiter. Die Auflösung der in dem einstündigen Wirbel erzeugten Spannung erfolgt in furiosem Finale – und musikalisch durchaus überraschend. Die Jungs und die Mädels vereint eine wilde, zügellose, erotisch geladene Salsa-Performance. Das Multikulturelle, das Fremde im Eigenen ist das „Oxymoron“ der Moderne.

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