Kultur: Ebbas Liebe als Spiel
Fontane-Matinee mit Hans-Jochen Röhrig und Gotthard Erler im HOT
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Zweie leben schon lange in Ehe, dann geht „er“ fremd, doch die Neue erweist sich als unbeständig, Versöhnung der Gatten ist nicht mehr möglich, die betrogene Ehefrau nimmt sich das Leben, Punkt. Heutzutage reicht dieses Sujet für jede TV-Soup.
Kommt ein solcher Stoff aber unter die Feder Theodor Fontanes, wird große Literatur daraus. Der Roman „Unwiederbringlich“, so war bei der Matinee des Hans Otto Theaters aus dem Munde von Gotthard Erler vorab zu hören, hätte zwar nicht die Popularität wie etwa „Effi Briest“, zähle aber dennoch zu den schönsten Büchern seiner Hand. Er muß es wissen, gilt er doch als Betreuer der großen Fontane-Ausgabe des Aufbau Verlages zu den profundesten Kennern dieser Materie.
Der Autor sei freilich mehr „Finder als Erfinder“ gewesen, alle seine Romane beruhten auf wahren Begebenheiten. Auch das, was er zwischen dem Ehebrecher Graf Holk, seiner Frau Christine und der verführerischen Jüdin Ebba von Rosenberg mit größtem Geschick bis zur Katastrophe entfaltet, geschah, zu früherer Zeit und an anderem Orte, tatsächlich am Strelitzer Hof. „Alle Schriftstellerei lebt von Indiskretion“, bekannte Fontane. Mit der Hofdame Ebba gestaltete er nicht nur den lebenslangen Reiz eigener Bewunderung für jüdische Schönheit, diese Eva gibt „Unwiederbringlich“ auch jene gedankliche Tiefe, die aller „Adels-Soup“ heute notwendig fehlt. Der Kontrast zur „herrnhutischen Strenge“ Christines konnte größer nicht sein.
Hans-Jochen Röhrig besorgte sowohl die von Gotthard Erler gelobte Textauswahl als er diesmal auch selber las, und allein. Hinter ihm ein Bild des dänischen Schlosses Fredericksborg, wo die Verführerin die ganze Hofgesellschaft am Vorabend des Deutsch-Dänischen Krieges (1864) „klug und espritvoll“ beherrscht. Ihre Strahlkraft hatte schon viele vernascht, viel brauchte es nicht, den 45-Jährigen zu verführen. Er hielt das für Freiheit und Glück. Seine Briefe nach Hause werden immer dürftiger, die Gattin weiß es und schweigt. Ein Brand während der einen gemeinsamen Nacht brachte dann alles an den Tag. Holk will die Scheidung, seine Frau widersetzt sich nicht. Und nun erklärt Ebba ihm, es sei alles nur leicht fertiges Spiel gewesen, er hätte sich besser seiner ehelichen Treue versichern sollen. Später nimmt sie sich einen Geldsack. Christine überlebt ihre zweite Heirat mit Holk nicht, zu schwer war die Verletzung. Die echte Geprellte findet man tot im Park, ihr literarisches Pendant geht ins Wasser. Stets dabei ein Zettel mit dem einzigen Wort – „unwiederbringlich“.
Hans-Jochen Röhrig führte diese „theologisch“ unterlegte Geschichte erfreulicherweise nicht ans Ende. Mit leichtem Ton hielt er kurz davor inne, stellte zudem die flüchtige Allianz der Verführung ins Zentrum. Christine kam - in solchen Fällen ganz üblich - nur als Marginalie vor. Klug gegliedert die Lesung: Kürzere Passagen aus dem Flirt alternierten mit stimmungsgleicher Musik von Vivaldi, Schostakowitsch und anderen, was das Duo Luise Röhrig (Violoncello) und Rita Herzog (Klavier) mit Engagement ganz ordentlich machte. Der Vorleser als Gestalter vieler Stimmen, Tempi und Temperamente, die flinkeren schlecht zu verstehen.
Auch Gotthard Erler beklagte ja die Akustik des unteren Foyers laut, da tut sich offenbar nichts. Ein volles Haus dafür als Trost, wie jüngst bei Voltaires „Candide“. Crescendo-Beifall für eine billige Dreiecksgeschichte? Bei Fontane kann man lernen, wie Kunst daraus wird, Hören und Sehen, Tiefe und Fühlen.
Gerold Paul
Gerold Paul
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