zum Hauptinhalt

Kultur: Eigenwilliges Kleinod

Inszenierung „verwittert – verwunschen – verwahrlost“ sollte Staudenhof aus der Vergessenheit holen

Stand:

Inszenierung „verwittert – verwunschen – verwahrlost“ sollte Staudenhof aus der Vergessenheit holen Von Dirk Becker Am Tag danach ist alles wie immer. Zehn Tische stehen vor dem Café Staudenhof, die Hälfte davon besetzt. An einem keift ein älteres Ehepaar in höchsten Tönen, ein zerzauster Rauhaardackel kläfft sich derweil heißer über den Platz. Die Sonne gibt sich selbstgefällig, Verkehrslärm schallt gedämpft herüber. Eine angenehme Ruhe liegt auf dem Staudenhof, den gelegentlich Menschen überqueren, deren Blicke verraten, dass sie zum ersten Mal hier sind. Am Sonnabendabend, für etwas über drei Stunden, war der Staudenhof Zentrum der Inszenierung „verwittert – verwunschen – verwahrlost“. Der Potsdamer TRAnsfer e.V., unter Leitung der Kunsthistorikerin Angelika Euchner, wollte den Staudenhof aus einer Vergessenheit holen, die nicht jeder als solche empfindet. Mit Lesungen, Video- und Klanginstallationen und einem kleinen Theaterstück sollte diesem „400 Quadratmeter vergessenem Land“ zwischen Altem Markt und Platz der Einheit eine Aufenthaltsqualität wiedergegeben werden, die laut TRAnsfer e.V. längst verloren scheint. Niemand wird bestreiten, dass der Staudenhof den etwas maroden Charme eines vernachlässigten Hinterhofs besitzt, gepaart mit einer gewissen Janusköpfigkeit. Steigt man die Treppen vom Platz der Einheit kommend hinauf, präsentiert sich der Staudenhof als eigenwilliges Kleinod: viel Beton, viel Grün und etwas Ruhe. Lässt man die Baustelle am Alten Markt hinter sich und zwängt sich durch die halbherzig aufgestellten Bauzäune, sieht man ausgebleichte Graffiti auf blassem Beton, klafft der Wirtschaftshof der Fachhochschule wie ein Krater vor dem ersten Grün. Der Staudenhof wirkt vernachlässigt, an manchen Ecken auch verwahrlost. Das liegt vor allem daran, dass seit Jahren kein klares Bekenntnis seitens der Stadt für oder gegen den Erhalt des Gebäudekomplex von FH und Bibliothek und dem gegenüberliegenden Wohnblock vorliegt. Wo die Entscheidung ausbleibt, fehlen die Investitionen. Und so macht es neugierig, wenn Potsdamer auf diese Unentschlossenheit aufmerksam machen, unter der der Staudenhof leidet. Nur blieb unklar, was mit „verwittert – verwunschen – verwahrlost“ genau bezweckt werden sollte und, wen die Künstler eigentlich erreichen wollten. Da war die angekündigte Lesung der Schauspielerin Katharina Vosz und des Künstlers Peter Rohn aus einem Briefwechsel aus den 50er Jahren zwischen der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann und Hermann Henselmann, dem verantwortlichen Architekten der Berliner Stalinallee. Zu hören bekam man dann nur einen Zeitungsartikel der Reimann und einen Brief von Henselmann. Peter Rohn nutzte die Gunst der milden Abendstunde und machte sich seinerseits, mit schleppender Stimme, Luft, was er vom Wiederaufbau des Stadtschloss hält: Nichts. Dann las Jürgen Israel aus Texten zum „Städtebau der 50er und 60er Jahre“ – fürchterlichster Parteijargon, dass man sich wünschte, der Boden täte sich auf. Das zog sich, Kauderwelsch auf Kauderwelsch, ohne jeglichen Kommentar. Und man fragte sich, was das alles bloß soll. Patchworkkunst auf engem Raum, wo Lothar Krones Neufassung des Märchens „Dornröschen“ als regelrechte Wohltat empfunden wurde. Zwischen den Lesungen war Zeit für die Installation „Bruchstücke – Wortspiele – Zeitzeichen“, für die Michael Schenk Stimmen von Einwohnern am Staudenhof eingefangen hatte. Auf einer Leinwand waren ihre Meinungen dann noch einmal zum Lesen, dazu Fotos von einigen Anwohnern. Doch auf dem Staudenhof suchte man an diesem Abend vergebens ihre Gesichter. Die knapp 40 Gäste schienen sich fast alle zu kennen. Es blieb der Eindruck, dass hier nur Künstler und Freunde nett beieinander waren. Am Ende dann, im Abenddunkel, das Theaterstück des Potsdamers Ronald Granz „Wenn der Engel kommt“, gespielt vom Poetenpack. Fragmente von vier einsamen Menschen, die nicht zueinander finden. Gespielt wurde in der Zufahrt zum Wirtschaftshof, am Rande des Staudenhofs, was nur wenigen Besuchern den Blick auf die 30-minütige Aufführung ermöglichte. Am Tag danach dann alles wie immer. Nur ein paar Plakate, zusammengerückte Stühle und die roten Schilder mit Zitaten erinnern an den vergangenen Abend. Und in der staudenhoftypischen Mittagsruhe wird einem bewusst, wie bemüht und aufgesetzt die Inszenierung „verwittert – verwunschen –verwahrlost“ im Grunde doch war.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })