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Kultur: Ein Abend für bekennende Zuschauer Neu im Waschhaus: Lesebühne Papierpiloten

Jeder ist ein Künstler, sagte Joseph Beuys. Und zeigte es sich nicht gerade in den letzten Jahren, dass allzu viele davon überzeugt waren?

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Jeder ist ein Künstler, sagte Joseph Beuys. Und zeigte es sich nicht gerade in den letzten Jahren, dass allzu viele davon überzeugt waren? Nie war es für das geltungsbedürftige und mitteilungshungrige Ego einfacher, auf einer Bühne zu landen: Karaoke und Castingshow für den vermeintlichen Sänger, Poetry Slam oder – wie am Freitag im Waschhaus – die Lesebühne für den noch unbekannten Literaten. Dieser Versuch einer vollständigen Demokratisierung, oder zugespitzt vielleicht besser Dilettantisierung einer bürgerlichen Kultur mag ihre Motivation aus wirklichem Talent oder aber Selbstüberschätzung gezogen haben. Niemand hat sich allerdings bislang gefragt, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Kultur des Publikums hat. Denn wenn alle auf der Bühne stehen wollen, und jeder insgeheim hofft, er wäre bald der nächste da oben, wer hat dann noch Lust, das applaudierende Publikum zu mimen? Eine Gegenbewegung wäre nötig, die deutlich macht, welche Würde und Verantwortung damit verbunden sein kann, einfach nur zum Publikum zu gehören. Unter mangelnder Resonanz mussten nämlich die vier Autoren auf der Premiere der Lesebühne „Papierpiloten“ leiden. Gänzlich unverschuldet, denn die jeweils fünfminütigen Beiträge innerhalb der zwei Stunden waren zum Teil höchst amüsant. Wie auch auf den Lesebühnen in der Hauptstadt, die sich zum Teil einen hervorragenden Ruf erworben haben, etwa „Volk und Welt“ im Café Burger, die immerhin den Jungstar Jakob Hein hervorbrachte, wechselten sich die Autoren reihum ab. Großzügige, mit Salonmusik untermalte Pausen erlaubten den Austausch über das Gehörte oder den Gang zur Bar. Ein entspannter Abend, sehr gute, „handgemachte“ Unterhaltung mit einem hohen Grad an Authentizität. Zur Premiere haben die beiden Organisatoren der zukünftig an jedem Freitag geplanten Veranstaltung, Patricia Vester und Konrad Endler, Unterstützung aus Berlin eingeladen. Die Autoren sitzen auf der Bühne zusammen an einem Tisch, blättern in Texten, trinken ihr Bier und warten, bis sie ans Mikrophon treten dürfen. Volker Strübing gelingt das Kunststück, das nicht zu unterschätzende Eis, das ein quasi leerer Clubraum mit darin verteilten zwölf Gästen verbreiten kann, gleich zu Beginn zu brechen. Sein Text, ein Märchen über die Tücken, sich auf der Schönhauser Allee durch ein Heer von Zeitungsabodrückern, Amnesty- Werbern, Tierschützern und Handyladenvertretern seinen Weg zu bahnen, ist prototypisch. Eine bizarre Wendung, und das Publikum prustet vor Lachen. Diese auf mündliche Wirkung ausgerichtete Literaturform, von den Veranstaltern als „Livezeitung“ bezeichnet, ist auf skurrile Pointen ausgelegt, das Ich steht immer im Zentrum. Für die jeweiligen Auftritte werden fast immer neue Stücke geschrieben. Kirsten Fuchs treibt die Stimmung in die Höhe mit einem Text über Trennungsschmerz. Protokollarisch hält das leidende Ich fest: „Kann sein Profil auf mein Bettlaken heulen.“ Konrad Endler trägt so genannte Polfs vor, products of low fantasy, die dem Trash bewusst Raum geben. Und das Beste lieferte Uli Hannemann zum Schluss. Als Parodie auf den Ghetto-Rapper Sido (den mit der Maske) und seine martialische Sprache, verlegt Hannemann eine fiktive Reportage nach Zehlendorf, oder „North-Z“, dem „härtesten Ghetto südlich von South-Central L.A.“. Dort klaut der coole Dosy gerne „flowers“ aus den Vorgärten und droht im Ton der Ghetto-Kids: „Es kann jederzeit passieren, dass du um die Ecke biegst und blutend am Boden liegst.“ Aber nur, weil wieder nicht gestreut wurde. Hier wartet also großes Vergnügen auf Menschen, die bekennende Zuschauer sind. Sie werden es nicht bereuen. Nächste Lesebühne am 14. Januar 2005.

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