Kultur: Ein Antiheld voller Melodramatik Tino Hanekamp las aus seinem Debütroman
„Wer raus geht, wird erschossen!“ Das ist doch mal eine Ansage an ein Publikum, das doch freiwillig zur Lesung gekommen ist und sogar bezahlt hat.
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„Wer raus geht, wird erschossen!“ Das ist doch mal eine Ansage an ein Publikum, das doch freiwillig zur Lesung gekommen ist und sogar bezahlt hat. Tino Hanekamp nimmt kein Blatt vor den Mund und redet mit seinen Gästen fast so, als wären es seine Kumpels. Dass Tino Hanekamp sonst in ganz anderen Gefilden unterwegs ist als in einer kleinen Buchhandlung und sich daraus seine lockere Zunge ergibt, merkt man schnell.
Am Mittwoch las der 32-Jährige aus seinem Debütroman „So was von da“ in der Buchhandlung Wist. Die Lesung begann ungewöhnlicherweise ohne Autor – mit einem Film. Zu sehen waren Szenen aus einer durchzechten Nacht. Menschen, die sich betrinken und feiern. Es beginnt, wie so häufig, ganz entspannt mit leichten Getränken. Dann kommen die harten Stoffe, die Stimmung steigt explosionsartig. Menschen tanzen, umarmen sich, küssen sich. Dann der langsame, aber doch steile Absturz. Menschen, die sich zuvor in den Armen lagen, streiten nun und beginnen, sich zu prügeln. Andere schlafen an Ort und Stelle ein. Am Morgen torkeln die letzten Überlebenden des Abends schweren Beines nach Hause. Ende.
Während der Fernseher vom Tisch genommen wurde, schlenderte Tino Hanekamp pfeifend an seine Position. Aus der dunkelbraunen Ledertasche packte er sein Buch, eine Flasche Wasser, eine Pistole und eine Fahrradklingel aus. Was es mit der Schreckschusspistole auf sich hat, erklärte er sofort: „Normalerweise beginne ich meine Lesungen mit einem Schuss, aber der Raum ist zu klein und ich will Ihnen keinen Gehörschaden zufügen.“ Also imitierte er einen Startschuss, indem er die Pistole in die Höhe hält. Tino Hanekamp beginnt wohl gerne mit einem großen Knall. Die Fahrradklingel benutzte er später, um Türklingeln zu imitieren. Der Einstiegsfilm sollte nicht nur das Publikum locker machen, wie Hanekamp argumentierte, sondern er bezog sich direkt auf sein Buch. In „So was von da“ geht es um den 23-jährigen Oskar Wrobel, dessen Musikclub an der Hamburger Reeperbahn abgerissen wird. Eine letzte Party am Silvesterabend soll der große Abschied sein. Und in dieser irrsten Nacht des Jahres kommen natürlich alle Probleme des jungen Mannes zusammen: ein Ex-Zuhälter verlangt sein Geld zurück und stürmt Oskars Wohnung; der beste Freund und ehemalige Star Rocky zerbricht an seinem Ruhm; im Club herrscht Chaos; und Oskar denkt fast ununterbrochen an seine große, aber verflossene Liebe – Mathilda. Im Großen und Ganzen geht es also um Oskars Versuch, seinem Leben eine Richtung zu geben, nicht auf der Strecke zu bleiben und sich dabei selbst zu verwirklichen.
Oskar ist der typische Anti-Held. Er trauert seiner letzten Beziehung nach und befindet sich seit der Trennung vor drei Jahren in einem unaufhörlichen Selbstfindungsprozess. „Wie halten die Leute eigentlich ihr Leben aus?“, fragt sich Oskar, wenn er Verkäuferinnen oder Busfahrer sieht. Dann schämt er sich, weil er damit sogleich unterstellt, in einfachen Tätigkeiten gäbe es keine Erfüllung. Und er, der dem ständigen Drang nach Selbstverwirklichung unterliegt, kann sein Leid doch nur ertragen, weil er es auf den einfachen Werktätigen austrägt. Glücklich ist er trotzdem nicht. Ob und wie sich der melodramatische Anti-Held Oskar aus seiner Misere rettet, sei noch nicht verraten.
Interessant ist, dass man Parallelen zwischen Hanekamps Leben und seinem Buch entdeckt. Auch er gründete mit einem Freund „aus Versehen“ einen Musikclub namens „Weltbühne“. Auch dieser Club wurde abgerissen. Wie viel Wahres in dem Buch allerdings steckt, wurde nicht klar. An manchen Stellen behauptete Hanekamp: „Es ist alles wahr, was in meinem Buch steht.“ An anderen Stellen sagte er: „Es ist nicht alles wahr in meinem Buch, aber das hier ist ungelogen!“. Humor hat er ja, der Tino Hanekamp.
In der kurzen Pause schenkte er seinen Gästen Wodka ein, forderte dann aber wieder: „Ruhe bitte, sonst wird geschossen!“. Erschossen wurde übrigens niemand. Alle saßen artig bis zum Ende der Lesung auf ihren Stühlen. Das spricht für Tino Hanekamp. Josefine Schummeck
Josefine Schummeck
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