
© Fahlbusch
Kultur: Ein außergewöhnliches Machwerk Judith Schalansky erhielt den „Kleinen Hei“
Ihre Freude über den Literaturpreis ist groß. Doch mit gespieltem Entsetzen reagiert Judith Schalansky auf den kleinen kreisrunden Aufkleber, der nun auf dem Buchdeckel ihres Romans „Der Hals der Giraffe“ prangt.
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Ihre Freude über den Literaturpreis ist groß. Doch mit gespieltem Entsetzen reagiert Judith Schalansky auf den kleinen kreisrunden Aufkleber, der nun auf dem Buchdeckel ihres Romans „Der Hals der Giraffe“ prangt. Tatsächlich ist die junge Autorin, die als studierte Buchgestalterin und Typographin stets strenge Regie über die Herstellung ihrer Bücher führt, eine Perfektionistin. Dass sich der grobe sackgraue, mit einem Giraffenskelett bedruckte Leineneinband ihres Romans zwischen den einzelnen Auflagen farblich leicht unterscheidet, macht sie unzufrieden, wenngleich nicht untröstlich. Ja, sie überlege schon Baumwolle anzupflanzen, um eine Einheitlichkeit gewährleisten zu können.
Doch nicht nur dank des sorgfältig liebevollen, völlig aus dem Rahmen fallenden Designs, sondern auch aufgrund der inhaltlichen Machart ihres Buches hat Judith Schalansky am Donnerstagabend den vom Literaturladen Wist inzwischen zum achten Mal verliehenen Literaturpreis „Der Kleine Hei“ erhalten. Ihr Porträt einer ältlichen Biologielehrerin, die allein in ihrem Fachgebiet Halt findet, für ihr soziales Umfeld hingegen nur bitter beißenden Zynismus übrig hat, beeindruckt den Initiator Carsten Wist auch aufgrund einer gewissen Vielschichtigkeit der Lektüre.
Eingebettet in die lehrbuchartig aufgebaute und zum Teil illustrierte Evolutionsgeschichte, sei hier stilistisch ein Ton gefunden worden, der sowohl analytisch als auch poetisch ist, begründet er seine Entscheidung für den Preis, die diesmal auch recht schnell gefallen ist. Nachdem das Das Klarinettenspiel Winfried Ragers verklungen ist, übergeben die Kinder des Buchhändlers der Autorin die auf einen Ständer montierte, leuchtend blaugrüne Plastik eines kleinen Hais, welche die Potsdamer Künstlerin Steffi Ribbe angefertigt hat.
Diese Preisverleihung im bis auf den letzten Platz belegten Obergeschoss des Buchladens Wist besitzt einen herzlichen Charme. Anhaltender Applaus. Mit „fantastisch“ kommentiert die Autorin den Augenblick sichtlich bewegt und liest zwei Teile aus ihrem frisch ausgezeichneten Roman „Der Hals der Giraffe“.
Schön, wie sie ihre Protagonistin Inge Lohmark in Szene zu setzen vermag, wie sie in ihre ruhige und langsame Vortragsweise einen wie selbstverständlich verächtlichen barschen Tonfall einbaut. Doch trotz der vernichtenden Urteile Lohmarks über die „hoffnungslosen Fälle“ in den Bankreihen und ihrer abschätzigen Gedanken über ihre Lehrerkollegen, erhebt sich schnell heiteres Gelächter im Publikum. Freilich, in dieser ungebremsten Gedankenrede schwimmt auch so viel Pfeffer. Und Schalansky sagt selbst, dass sie sich beim Schreiben immer wieder dabei ertappt habe, wie sie ihrer Romanfigur im Grunde sogar Recht geben musste.
In ihrem ungnädigen Zynismus ist Inge Lohmark aber zugleich auch eine tragische Figur, für die man Mitgefühl entwickeln kann. So sehr die Autorin ihr auch manchmal einen etwa positiven Ausweg gewünscht habe, so wenig sei ihr diese Rettung möglich gewesen. Zum Glück. Denn erst in dieser Konsequenz bleibt Inge Lohmark für jeden Leser schlichtweg unvergessen.
Dass auch der Abend im Literaturladen Wist mit bleibenden Erinnerungen verbunden werden konnte, dafür sorgt Judith Schalansky schließlich selbst. Dank mehrerer Stempel mit Tier- und Pflanzenmotiven, die sie auspackt, wird selbst aus einer Signierstunde plötzlich ein Stück individuelle Buchgestaltung.
Daniel Flügel
Daniel Flügel
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