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Kultur: Ein Babylon der Einsamkeit

Im Gespräch mit der slowakischen feministischen Schriftstellerin Urula Kovalyk, die morgen im Waschhaus liest

Stand:

Urula Kovalyks Texte sind frisch und frech. Bissig schreibt sie für diejenigen, die das Wort „Feminismus“ nicht fürchten. Im Waschhaus liest sie morgen um 20 Uhr bei den „Papierpiloten“ aus ihrem noch unveröffentlichten Roman „Frau von Secondhand“ über Arbeitslosigkeit und Beziehungen aus zweiter Hand.

Sie schreiben über und meist sicher auch für Frauen. Auffällig in den Texten ist Ihre besondere Beziehung zu Ihren literarischen Gestalten. Es scheint, dass Sie ihnen nicht viel Zeit zum Jammern über ihr verschludertes Leben lassen, sondern erwarten, dass sie endlich bewusst selbständig handeln. Was bedeuten Ihnen Ihre Frauen?

Es sind nicht meine Frauen, sie gehören sich selbst. Ich beschreibe sie nur und setze sie in Situationen, in denen sich oft auch andere Frauen befinden. Ich denke nicht, dass ich Gestalten in meinen Kurzgeschichten irgendwie negativ bewerten würde. Jede hat ihre eigene Lebensstrategie. Manche Frauen können oder wollen manchmal nicht selbständig handeln. Auf dem ersten Blick ist es auch bequemer, denn du lässt dich von der Konformität treiben – und die Tendenz gibt es in unserer Kultur schon seit Jahrhunderten. Letztendlich wurde es von uns in der Schule oder von den Eltern erwartet, dass wir gehorsam bleiben. Aber dann, dann kommen die Konsequenzen, und die sind oft grausam.

Inwiefern?

Immer wenn die Frau gegen sich selber handelt, ist es grausam. Die Folgen spürt sie an ihrem Körper oder an der Seele. Sie trägt die Konsequenzen. Ich versuche gerade darüber zu schreiben. Es ist klar, dass mich der Moment fasziniert, wenn sie ihre Kräfte mobilisiert und sich befreit. Die Befreiung muss nicht von einem Mann sein, mir geht es eher um Gedanken und Verhaltensweisen, die sie verletzen. Ich glaube, dass in Frauen ein wahnsinniges Potenzial steckt, eine Weisheit und Naturtreue, die fruchtbar ist.

In dem Drama „Ding“ lassen Sie einen schwarzen Engel der jammernden Hauptdarstellerin zuflüstern, dass sie endlich bewusst selbständig handeln soll. Regt Sie Passivität auf?

In dem Theaterstück nimmt der schwarze Engel tatsächlich kein Blatt vor den Mund. Er reißt der Hauptstellerin die rosarote Brille ab. Er möchte sie aufrütteln, dass sie sich verändert. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass er böse ist. Aber die wirkliche Gefahr kommt von dem weißen Engel, er tröstet sie und versucht ihr die konforme und bequeme Lösung einzureden. Auf mich persönlich wirkt Passivität tödlich.

Gibt es in der Slowakei eine besondere weibliche Identität?

In der Slowakei gibt es allerlei. Ich weiß nicht, was eine besondere Frauenidentität bedeutet. In der Slowakei gibt es Feministinnen. In der Slowakei gibt es Frauen, die abhängig von der Schönheitschirurgie sind, es gibt auch Frauen, die ihre Lebensaufgabe als aufopfernde Mutter sehen. Es gibt Frauen, die süchtig sind oder solche, die Krawalle in Punkkonzerten machen. Es gibt Mäuschen, die geduldig dem Chef Kaffee kochen und es gibt unantastbare Managerinnen. Und ich frage, wer sind diese Frauen wirklich? Was für ein Selbstverständnis als Frau haben sie für sich entwickelt? Was bedeutet eigentlich eine Genderidentität? Ich weiß es nicht, jeder schreibt was anderes. Überall sind Ratschläge zu lesen, was die Frau tun, was sie lassen soll. Was ist das dann für eine Identität? Ich denke, es gibt verschiedene Identitäten. Ich persönlich bin Feministin. Krawalle in Punkkonzerte habe ich in meinen jungen Jahren auch gemacht, eine Schönheits-OP kannst du bei mir vergessen, und ich kann nicht in jeder Situation selbstsicher handeln.

Csaba, die Heldin in Ihrem neuen Roman, verkauft Freundschaft aus zweiter Hand. Eine Beziehung zu verkaufen, das ist seltsam. Worauf kommt es in Beziehungen von heute an?

Ich denke, dass nur wenige Beziehungen wirklich tief menschlich sind, ich meine solche, in denen man sich auch ein Schweigen erlauben kann. Um mich herum gibt es viele Menschen, aber noch mehr Einsamkeit. Die Stadt ist ein Babylon der Einsamkeit. Haben wir keine Zeit für aufrichtige, enge Beziehungen oder haben wir Angst davor? Haben wir Angst, von der Angst zu sprechen? Eine Beziehung zu verkaufen, ist wirklich ein merkwürdiges Geschäft, aber wenn ich darüber nachdenke, es gibt nichts umsonst. Für alles musst du bezahlen, entweder du nimmst Geld als Zahlungsmittel oder du gibst etwas dafür, Energie, Engagement. Jedes Verhältnis ist ein Spiel von Nehmen und Geben. Die Gestalten in meinem Roman, sie wollen nur mit Geld bezahlen, weil sie denken, dass sie es dann unter Kontrolle haben, dass es weniger weh tun wird. Auch Csaba meint, es wird leichter, wenn sie die Sache unter Kontrolle hat. Aber alles wird, wie immer, anders.

Und wie sind die Beziehungen unter den Frauen?

Es hängt von der Lebenserfahrung jeder Frau ab und davon, woran sie glaubt. Eine Frau, die ihren Mann wegen einer anderen Frau verlassen hat, mag sagen, dass das Ganze ein Kampf um Männer sei. Eine andere würde sagen, in Beziehungen gäbe es starke Rivalität, letztendlich versucht man, die andere nur zu verleumden. Ich sage, sie sind geprägt von Hilfe und Kommunikation. Ich hatte Glück mit Frauen. Ich habe eine geniale Schwiegermutter. Mit der Mutter habe ich mich als Teenager ausgekämpft und jetzt liebe ich sie. Meine Freundinnen sind abgefahren und die Kolleginnen tolerant. Ich bewundere die Weisheit alter Frauen. Ich kann mit Frauen wunderbar über alles sprechen. Mir haben Frauen in schwierigen Situationen sehr geholfen. Ich habe eine gute Beziehung zu ihnen.

Ein anderes Thema in Ihrem Roman ist der Vergleich zwischen Großstadt und Kleinstadt.

Was mich wirklich interessierte, waren die Stereotypen, die die Menschen aus einer Großstadt gegenüber den Zugezogenen „vom Lande“ haben und umgekehrt. Ich habe absichtlich nur von einer Kleinstadt und einer Großstadt gesprochen, weil ich denke, das Thema ist universell und betrifft nicht nur die Slowakei. Weil ich selber in eine Großstadt aus einer kleineren Stadt kam, habe ich etwas erfahren, das ich auch in den Roman einfließen lassen kann.

Warum ist das Thema der Arbeitslosigkeit und sozialer Peripherie so wenig in der slowakischen Literatur zu finden.

Jeder, jede schreibt, worüber er, sie schreiben will. Früher oder später spiegelt das Schreiben auch die Realität, die du lebst. Vielleicht waren slowakische Schriftsteller und Schriftstellerinnen nicht von der Arbeitslosigkeit betroffen oder sie haben sie nicht hautnah erlebt. Ich schon. Andererseits kann ich verstehen, dass das Wort „Arbeitslosigkeit“ Menschen langsam auf die Nerven geht.

Gespräch: Michaela Kovacova

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