"Die Räuber" am Neuen Globe Theater: Ein Biss, der verpufft
Die Inszenierung des Neuen Globe Theaters von Schillers „Die Räuber“ überrascht mit vielen guten Ideen – leider fehlt eine gerade Interpretationslinie.
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Potsdam - All seine Verachtung liegt in diesem einen Biss. In diesem Akt des ins Gegenteil gekehrten Genusses, bei dem er seine Zähne schnappend in einen Schaumkuss schlägt, ihn zerstört, wie er seine Familie zerstört hat. Und wenn er dann spricht, mit diesem Grinsen und – im wahrsten Sinne des Wortes – Schaum vor dem Mund, beschert das eine Gänsehaut, die lange nicht fortgeht. Es ist ein verbitterter, vereinsamter und widerlicher Franz Moor, den Sebastian Bischoff in der Inszenierung von Friedrich Schillers „Die Räuber“ des Neuen Globe Theaters gibt, die am vergangenen Freitag im T-Werk in der Schiffbauergasse Premiere feierte.
Voller sarkastischer Bitterkeit, die an manchen Stellen ganz wunderbar ironisch mit Schillers Text umgeht, spielt er den jüngeren Sohn von Graf Maximilian (Urs Stämpfli), der seinem Bruder Karl (Kai-Frederic Schrickel) das Erbe sowie die Liebe zu Amalia (Petra Wolf) neidet und somit gegen ihn intrigiert. Schuldlos vom Vater verstoßen gründet Karl eine Räuberbande, mordet, rebelliert gegen die herrschaftliche Klasse und verliert sich in seiner neuen Rolle als Gesetzloser, bis er nach 18 Jahren wieder mit seiner Vergangenheit – und hier mit seinem Bruder Franz – konfrontiert wird.
Auch er hat sich am Ende irgendwo in seinem Intrigenspiel verloren, mit dem er, außer der Herrschaft über die Grafschaft, nicht viel erreicht hat. Denn das, wonach es ihm eigentlich dürstete – Anerkennung, Liebe und Akzeptanz – ist weiterhin unerreichbar für ihn. Bischoff dabei zuzusehen, wie er auf dieses Ende zusteuert, ist ein wahrer Genuss. Regisseur Andreas Erfurth lässt ihn toben, wüten, diabolisch grinsen und dabei so herrlich anbiedernd verzweifelt sein, dass man fast eine kleine Hassliebe zu dem Charakter entwickelt, der doch eigentlich gar nicht liebenswert ist. Aber wenn er versucht, Amalia mit Geschenken, einem Candle-Light-Dinner und mit einem Song zu erobern und Bischoff dabei trotz all der Schleimigkeit auch eine einfache pure Verzweiflung in den Blick seiner Figur legt, ist der Drang groß, ihn einfach nur in den Arm zu nehmen.
Dieser Moment ist allerdings auch schnell wieder vorbei – sowohl bei Bischoff als auch beim Zuschauer –, denn letztendlich überwiegt der wohlige Ekel, den man bei seinem Spiel empfindet und der sich eben in dieser Szene zuspitzt, in der er sich selbst ein Geburtstagsständchen singt und schließlich seinen Geburtstagsschaumkuss mit den Zähnen zerschmettert. Bischoff als Wolf im Schafspelz also, der immer wieder aus der klassischen Form Schillers ausbricht – etwa mit musikalischen Tanz- und Gesangseinlagen. Überhaupt ist Regisseur Erfurth ein guter Clou mit der musikalischen Begleitung gelungen. Anton Nissl sorgt an seinem Schlagzeug oft für Soundtrackatmosphäre, ahmt Naturgeräusche nach und wird von den Darstellern auch mal zum Spielen aufgefordert.
Diese Brüche mit dem klassischen Theater, der Anspruch, dem Zuschauer immer wieder zu verdeutlichen, dass er sich in einem Spielhaus befindet, ist ein Markenzeichen des Neuen Globe Theaters – funktioniert in dieser Inszenierung aber nur teilweise. Denn so frisch und individuell das Stück mit Bischoffs Interpretation seiner Figur beginnt und bei seinen Auftritten immer wieder aufblitzt, so fehlt der Inszenierung doch insgesamt der rote Faden, der die Frische beibehält. Es kommt das Gefühl auf, Erfurth habe sich nicht ganz entscheiden können, ob er „Die Räuber“ nun klassisch oder eben auf seine ganz eigene Art inszenieren möchte. Denn bei allen guten Ideen fällt das Stück leider immer wieder in sein nationalistisches Pathos zurück, das natürlich durch Schiller vorgegeben ist, heute aber kaum noch vermittelbar ist. Sicher, Petra Wolf spielt die Amalia genau in dieser klassischen Art herzzerreißend und hoch emotional, sowohl in den schwachen als auch in den starken Momenten ihrer Figur. Nur passt diese Art eben nicht zu den ironischen Einspielungen, etwa wenn Saro Emirze einen zum Schreien komischen, vertrottelten Kosinsky gibt, die Räuber im Tarantino-Stil mitten in einer Schießszene einfrieren oder Rike Joeinig eine völlig deplatzierte und gerade deswegen herrlich groteske Putzfrauenamme mimt. Es passt auch nicht zum Spiel Kai-Frederic Schrickels, der sich ähnlich wie die Inszenierung nicht entscheiden kann, wer sein Karl eigentlich ist und ihn irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und vielem Haare-Raufen ansetzt. Dabei hat er einen wirklich starken Moment, als seine Figur vom Vater verstoßen wird: Der Bruch vom sorglosen jungen Mann in die pure Verzweiflung und schließlich Bitterkeit zeichnet sich deutlich im erst weichen, dann hart versteinerten Gesicht Schrickels ab. Leider entgleist ihm dieser Blick bald darauf wieder und kehrt erst am Ende wieder, als er mit Grabesstimme die, von Erfurth eindrucksvoll platzierten, Worte „Ich bin mein Himmel und meine Hölle“ spricht. Dazwischen verliert er sich leider in einer zu sehr gewollten Resignation, die sein Spiel einseitig und teilweise sehr blass erscheinen lässt. Das ist umso trauriger, da er an den besagten Stellen zeigt, dass er es eigentlich besser kann. Doch am Ende ist nicht klar, was nun sein Himmel und was seine Hölle ist. Die eindrucksvoll gesprochenen Worte verpuffen als Fragezeichen und es bleibt als einziger Trost das Bild vom schaumgrinsenden Gegenspieler.
„Die Räuber“ wieder am 26. November um 20 Uhr im T-Werk, Schiffbauergasse. Tickets kosten 14 Euro, ermäßigt 9 Euro.
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