Kultur: Ein bitterer und schaler Nachgeschmack Etikettenschwindel beim „Phantom der Oper"
Eines der beliebtesten Musicals ist das „Phantom der Oper“ – jedenfalls seit der Vertonung durch Andrew Lloyd Webber, die 1986 uraufgeführt wurde. Kaum bekannt ist jedoch, dass allein in Deutschland zwei weitere Musical-Produktionen unter diesem Namen durch die Lande ziehen.
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Eines der beliebtesten Musicals ist das „Phantom der Oper“ – jedenfalls seit der Vertonung durch Andrew Lloyd Webber, die 1986 uraufgeführt wurde. Kaum bekannt ist jedoch, dass allein in Deutschland zwei weitere Musical-Produktionen unter diesem Namen durch die Lande ziehen. Nur so ist es wohl zu erklären, dass der Nikolaisaal bei der Aufführung eines Stücks mit dem Titel „Phantom der Oper“ recht gut gefüllt war – bei Kartenpreisen um die 50 Euro. Manch einer mag da gedacht haben, dass er dafür etwas Besonderes geboten bekommen würde. Doch von der zweieinhalbstündigen Vorstellung bleibt nichts als ein schaler, bitterer Nachgeschmack übrig, ja, das Wort „Etikettenschwindel“ stellt sich nach dieser Produktion der ASA EVENT GmbH unweigerlich ein.
Dass ein bekannter Name, ein berühmter Stoff noch lange nicht ausreichen für ein gelungenes Werk, wurde selten so drastisch vorgeführt wie hier. Dabei bietet der klassische Schauerroman von Gaston Leroux über den unheimlichen Operngeist jede Menge dramatische und psychologische Reize, wie die vielen Bearbeitungen für Film und Musik zeigen.
Doch die Version der „Central Musical Company“ (Text: Paul Wilhelm) vermischt so hemmungslos Erhabenes und Erhebendes mit Banalem und Banausigem, dass einem schwindelt. Vollmundig werden große Konzepte wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Schicksal beschworen, um sogleich Platitüden aus Biedermanns Nähkästchen wie „Im Leben muss man sich an alles gewöhnen“ zu zitieren. Dazwischen donnern Versatzstücke aus dem Zitateschatz des Germanistikstudenten wie „der Zwiespalt zwischen Kunst und Leben.“ Gierig verleibt sich die Aufführung selbst das berühmte Gedicht von August von Platen „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen...“ ein. Die ebenso ignoranten wie arroganten Diskrepanzen des Librettos werden von der Musik (Arndt Gerber) nur mehr unterstrichen, etwa wenn zum sehnsüchtigen Lied der Christine „Komm zu mir, Engel der Musik“ eine flotte Rumba erklingt, als wäre man beim Tanzturnier.
Insgesamt gelangt die Musik nicht über plakative Untermalung im Stile eines Werbeclips hinaus. Kaum je gelingt es, die Handlung oder das – durchaus nicht uninteressante – Innenleben der Protagonisten musikalisch auszudeuten. Die Stücke klingen wie billige Schlager, keine Melodie bleibt haften, keine Passage wirkt zwingend notwendig oder gar originell, alles bleibt austauschbar. Statt Rumba könnte genausogut ein Walzer oder eine Musette Christines Lied begleiten. Die instrumentalen Passagen gleichen den dramaturgisch entsprechenden Stellen aus Operetten und Musicals. Behauptungen und Darbietungen stehen in einem marktschreierisch eklatantem Missverhältnis zueinander. „Gibt es etwas Schöneres als die menschliche Stimme?“, wird gefragt. Durchaus, muss man leider sagen, denn die stimmlichen Qualitäten der Darsteller bewegen sich im unteren Mittelfeld, bis auf die beiden Damen Noémi Schröder und Mona Hermes. Vor allem die Herren des Ensembles agieren steif und deklamieren ihren Text so trocken wie in der Pflichtaufführung eines Schülertheaters. Bis auf die bewegliche, leicht exaltierte Logenschließerin, gespielt von Stefanie Wesser, verkörpert keiner seine Rolle glaubwürdig und überzeugend. Nicht mal das Phantom der Oper (Dale Tracy) gelangt übers Posieren und Absingen hinaus. Das grausige Röcheln des Monsters wirkt obligatorisch, die Baritonstimme dröhnend und gepresst.
Selten sah man eine lieb- und wertlosere Aufführung als diese Produktion, die auf billigstem Niveau unterhält – zu völlig überhöhten Preisen.
Babette Kaiserkern
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