Kultur: „Ein Ding an der Waffel“
Andreas Kleinert über „Hurenkinder“ im Aktuellen Potsdamer Filmgespräch im Filmmuseum
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Er habe 2006 sein „böses Jahr“ gehabt, plaudert Andreas Kleinert, der Regisseur von „Hurenkinder“ locker dahin, nachdem der für den NDR gedrehte Fernsehfilm abgespielt ist.
Gezeigt zum aktuellen Filmgespräch am Dienstagabend im Filmmuseum, dauerte es gefühlt doppelt lang, bis man sich durch die 90 Minuten geschaut hatte, in denen Karin Baal als Hurenmutter in ihrem Erbrochenen liegen muss, Michael Brandner als Conrad und Chefredakteur des Life-Style-Magazins mit einem Namen, den man sogleich wieder vergessen hat, nach dem Beischlaf mit Marie (Nina Kunzendorf) seinen Schmerbauch als Resultat der vielen Small-Talk-Partys tätschelt. Und in denen die Hauptfigur Marie sich selbst als „Produkt der Generation, die keinen Funken Selbstlosigkeit“ in sich trage, bezeichnet. Das hätte man auch so begriffen.
Es geht um Schuld und wenig Sühne, und die matte psychologische Motivation der attraktiven Frau, die es auf den Chefredakteurssessel abgesehen hat und keine Intrige scheut, wird auch dadurch nicht besser, dass viele Möbel mit ganz vielen Tüchern oder Folien höchst symbolisch abgedeckt werden. Vor allem, wenn die, die „alles kriegt, was sie will“, mit ihrer tatsächlich großen Liebe (Stefan Kurt alias Leon) in einer Villa auf einer Insel schläft, da sind die Tücher Dekor, das nicht nur zum Naseputzen taugt. Sondern einen großen theatralischen Rahmen bieten soll für eine armselige Geschichte, die, anders als man das von Andreas Kleinert gewohnt war, in der Welt der Schönen und Reichen spielt. Und die wird, natürlich, durch die Medien sowie durch einen Reedereibesitzer (Hans Peter Hallwachs alias Max Lenbach) personifiziert. Allein Wohnung und Puff der Mutter (Karin Baal) sind nippesorientiert und menschlich, da schenkt man sich zu Weihnachten was und die Huren lachen aus vollem und sicher reinem Herzen. Aber die Tochter schämt sich ihrer Herkunft, obwohl sie eine innige Beziehung zu ihrer Mutter hat, und möchte es allen zeigen. Nun ja. Das ist ein Film, den man nicht unbedingt gesehen haben muss, auch wenn beim Traum von Fliegen des Reeders der kleine Spatz (Achtung: symbolisch) tot auf dem Teppich liegt und das Interview in eine Vögelei der beiden, die nur auf dem Diktaphon erschallt, mündet.
Das „Böse Jahr“ also soll 2006 für Andreas Kleinert gewesen sein, sagte der Regisseur, der Professor für Regie an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ ist, und bekennt, dass einer, der Regisseur werden will, schon „ein Ding an der Waffel haben“ muss, um diesen Beruf zu ergreifen. Nach diesem Prinzip suche er seine Studenten aus, um sie möglichst individuell werden zu lassen, sagte er im trauten Zwiegespräch mit Filmmuseums-Mitarbeiterin Christine Handke, die lange Zeit vergaß, dass außer Kleinert auch noch Ursina Lardi auf dem Podium saß. Immerhin durfte die Schauspielerin bekennen, dass das Filmen sie freier arbeiten ließe, als sie sich das gedacht hatte.
Ein Herzenswunsch sei es gewesen, sagte Kleinert großmütig, mit Ursina Lardi zusammen zu arbeiten. Ladri spielt die Schwägerin des Reeders, sie ist mit dessen Bruder verheiratet, der wiederum mit Marie die Love-Affair hat. Ja, so kommt das Schicksal im Fernsehen daher.
Am Ende darf sie sich, die bisher die „guteste“ Rolle als betrogene, oft traurig am Fenster stehende Ehefrau innehatte, an ihm rächen. Denn die abenteuerliche und nicht unbedingt durch die Filmerzählung motivierte Flucht des wieder zu seiner Frau zurückgekehrten Leon, der sich noch den Geldkoffer des Reeders ins Auto lud, endet tragisch: Ein Reh (aha, die zu Beginn bewunderten „Rehaugen“ der egoistischen Hauptfigur fallen uns Zuschauern wieder ins erinnernde Auge) steht auf der Straße und provoziert den Unfall, den nur Frau und Sohn gemeinsam mit dem Geldkoffer überleben: Der Ehebrecher stirbt, weil die betrogene Ehefrau ihn nicht aus dem Kopf stehenden Auto rettet, das sogleich lichterloh in Flammen aufgeht und wie der gesamte Film nichts als dicke Luft produziert.
Unser Land, das muss hier mal gesagt werden, braucht nicht nur Verordnungen gegen die Luftverschmutzung ...Lore Bardens
Lore Bardens
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