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Kultur: Ein Enthusiast

Radiolegende Wolfgang Doebeling im Waschhaus

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Es gibt Stimmen im Radio, die sind nur das: Stimmen, lästiges Geräusch. Und es gibt Stimmen mit Sendungsbewusstsein. Wolfgang Doebeling gehört zu den wenigen Urgesteinen in der Radiolandschaft, die noch nicht aus dem Weg zum stromlinienförmigen vermeintlichen Massengeschmack geräumt wurden. Denn seit nun schon 1987 legt Doebeling einmal in der Woche unter dem programmatischen Titel „Roots“ zwei Stunden Musik auf, die er für essenziell hält. Immer zur gleichen Zeit: nachts von Sonntag auf Montag und ausschließlich von Vinyl. Das mag nur der für spleenig halten, der ohne Sammelleidenschaft ist.

Mit seiner wohlbekannten, klar artikulierenden und sich emotional nie verhaspelnden Stimme sprach Doebeling am Montagabend im Waschhaus in familiärer Atmosphäre davon, wie er zu dem wurde, der er heute ist. 1950 geboren, wuchs er in der Tristesse der Nachkriegszeit in Stuttgart auf, wo Altnazis in der Schule unterrichteten und aus dem Radio allenfalls Schlager erklangen. Elvis war die akustische Befreiung aus diesem Gefängnis bürgerlicher Enge. Es hätte bei einem hilflosen Versuch, die Revolte per Hüftschwung zu proben, bleiben können, doch zum Glück bekam Wolfgang Doebeling eine Gymnasialempfehlung. Dort sollte er Englisch lernen. Seinem Vater erklärte er, dass er dafür dringend einen Plattenspieler bräuchte. Den bekam er, als er zehn wurde.

Fortan setze er sein Taschengeld in Vinyl um und lernte so schnell Englisch, dass er dem Geschäftsführer des örtlichen Plattenladens, der die Sprache des Pop nicht beherrschte, das Billboardmagazine übersetzten konnte. Ein perfekter Deal nicht nur für den Einzelgänger mit dem besonderen Musikgeschmack. Denn anders war an dieses Lebenselixier kein Rankommen. Tourneen mit Rockstars waren zur damaligen Zeit eine Seltenheit. Rock’n’Roll fand bis 1962 nicht statt, den gab es, so Doebeling, fast nur auf Platten, die aber wiederum kaum im Radio gespielt werden durften. In Großbritannien waren die Sender der Bildung und den BBC-eigenen Orchestern vorbehalten. Lediglich zur „Needle Time“, also eine Stunde in der Woche, durfte die Nadel eines Plattenspielers Musik in den Äther senden.

Dieses Verbot umgingen Piratensender, die zumeist von Schiffen aus die Insel mit neuester Beatmusik beschallten. 1967 wurden sie verboten, was zu massenhaften Protesten führte, an denen auch Wolfgang Doebeling teilnahm. In London hatte er seine eigentliche Heimat gefunden. Die den Engländern eigene Vorliebe für Exzentrik sorgte in dem umtriebigen jungen Deutschen für erleichterndes Aufatmen: „Die sahen alle so aus wie ich.“ Trotzdem zog er nie in die Hauptstadt des Pop. Stattdessen ging er 1971 zum Studium nach Berlin und entwickelte sich zum Missionar des Beat.

1978 sollten dann The Clash in Berlin spielen, Doebelings Lieblingsband der Stunde. Ob er sie nicht vorstellen wolle, wurde er vom Chefredakteur des Tip gefragt. Doebeling bestand darauf, dass keine Silbe geändert werden dürfe – und bekam vier Seiten. Daraufhin blieb er lange Jahre beim Tip, heute schreibt er für den Rolling Stone. Einige der Interviews mit Musikern wie Mick Jagger, Ray Davies oder Joe Strummer sind vor Kurzem in einem Buch erschienen. Es sind Charakterstudien eines Fans, der als solcher zum Chronisten und mitunter auch Weggefährten der Musiker wurde. Lene Zade

Lene Zade

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