Kultur: Ein Fest im Göritz-Garten
Harald Arnold las Novellen von Thomas Mann
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Harald Arnold las Novellen von Thomas Mann Vormittags Regen, abends Regen, dazwischen blauer Himmel, eitel Sonnenschein. Die griechisch-heidnische Himmelskönigin schien am Sonntag mit der Bildungsgesellschaft ihres Namens, Urania, ein Einsehen zu haben, als „Im Garten vorgelesen“ wurde, wieder mal in der Eichenallee, im ehemaligen Anwesen des Landschaftsgärtners Hermann Göritz (1902-1998), auf gut 2000 Quadratmeter Erde Anfang der Fünfziger angelegt. Jetzt hütet und bewahrt Hiltrud Berndt dieses unikate „Gartendenkmal“ hochgewachsner Bäume. Wie schon vor zwei Jahren, als Klaus Büstrin Göritz- und Bobrowski-Texte las, trägt auch jetzt der Lieblings-Apfelbaum des 1931 „staatlich diplomierten Garteninspektors“ reif an seiner Frucht, gebieterisch zeigt sich die 50 Jahre alte Lärche inmitten. Roter Frucht von einer Mispel-Art zu ihren Füßen. Gegenüber die ganz von Efeu umrankte Linde, eine Zwerg-Kastanie breitet ihre Äste, und ganz hinten, jenseits des Apfels, wo diesmal Harald Arnold zwei Jugend-Novellen von Thomas Mann stehend vortrug, wächst ein Mammut-Baum im Baby-Status. Nicht scheint die „silberne Axt“ ans Holz gelegt, wie Göritz selbst es wollte, man ging einen Schattengarten, wo alle Stauden jenem Hochgewächs, zweihundert an der Zahl, Tribut zu zollen haben. In diesem wunderlichen Hortus wurde diesmal auf Thomas Mann gesetzt, indes Susanne Heß, wie Arnold am BT verpflichtet, Sätze aus der Bach-Partita a-Moll, Telemann und Honegger, zum Finale Debussy“s bekanntes „Little Negro“ auf ihrer Querflöte dazugab, zu-nehmend gestaltungsfreudiger und also opulenter. „Tristan“, aber auch die eher tragische „Luischen“-Novelle zählen zu Manns Jugendwerken. In ihnen findet man noch jenen hohen Geist und eine in sensible Perioden gesetzte Sprache, wie man sie bei jüngeren Autoren meist ver-misst. Beide enden tödlich, nachdem so viel wie wenig geschah. In „Tristan“ geht es um eine platonische Liebesbeziehung zwischen dem in seltsamen Farben gezeichneten Romanciers Spinell und einer verheirateten und mit einem strammen Buben gesegneten Kaufmannsgattin, Gabriele Klöterjahn, im Lungensanatorium „Einfried“. Er gönnt dem Gatten weder Weib noch Kind und schmachtet dabei tüchtig, doch eben als die Männer aufeinandertreffen, gibt sie ihren Geist fort. Mann hofiert das Wagner-Motiv im „Tristan“, und gibt zugleich einen sehr feinsinnigen Humor, sich die Figuren seines Textes auf Distanz zu halten. Arnold las nun zwar am „Tempo-Limit“, dies aber mit heiterer Bravour, nach Art eines Schauspielers die schönen Dialoge köstlich gestaltend, Spannung haltend, wo es angebracht erschien, letztlich so im Stehen lesend, dass der Schluss zur gut gesetzten Pointe wurde. Keine Frage, Thomas Mann ist ein „Lese-Autor“, und Harald Arnold sein glücklicher Gestalter wohl. In „Luischen“ überzeichnet der Lübecker den pyknischen Rechtsanwalt Christian als Untertanen seiner völlig undurchsichtigen Gattin Amra, welche eine Liebesbeziehung zu dem Komponisten Leutner pflegt, dergestalt, dass sie von ihrem Gemahl verlangt, bei einem Frühlingsfest in Babykleidung nach einer Melodei ihres Gespielen zu singen und zu tanzen. Der Ärmste überlebt die Schmach vor aller Augen nicht. „Aus!“, so endet diese spannende Novelle. Hier bremste der Vorleser sein Tempo deutlich, was „Luischen“ zwar mehr Charme und Tiefe, dafür auch kleine Unsicherheiten bescherte. Über allem patrouillierten, als die Sonne zum Abend ging, motorgetriebene Sportflieger äußerst lästig (sie bekamen ja doch nichts mit), und nebenan im gleichfalls dunklem Schattengarten, erhoben sich dampfende Schwaden vom Grill. Vielleicht wurde Uranias Ruf ja auch dort gehört: „Christian, wir wollen ein Fest geben!“ Gerold Paul
Gerold Paul
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