
© Andreas Klaer
Kultur: Ein Festival für diese Stadt
„lit:potsdam“ ging in seine zweite Runde und beweist, dass es gebraucht wird
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Natürlich wurde wieder die Frage gestellt, ob Potsdam überhaupt ein solches Literaturfestival braucht. Eine so sinnfreie wie scheinheilige Frage. Denn damit ließe sich jegliche Kultur in die Ecke treiben. Aber es geht bei dieser Frage ja nicht wirklich darum, ob es ein Festival wie „lit:potsdam“ braucht. Es geht um die öffentlichen Gelder, mit denen ein solches Festival gefördert wird. Und um die skeptischen Blicke derer, die ebenfalls von dieser Förderung abhängig sind und unruhig werden, wenn da jemand kommt und in ihrem Revier wildert.
Die Frage, ob es gebraucht wird oder nicht, wurde auch offiziell gestellt, als am Freitag „lit:potsdam“ in die zweite Runde ging. Die Organisatoren hatten zur Eröffnung in die Villa Jacobs am Hochufer des Jungfernsees geladen und rund 400 Gäste kamen. Und als Potsdams Kulturbeigeordnete Iris Jana Magdowski in ihrer Begrüßungsrede diese Frage stellte, war diese natürlich rhetorisch gemeint. Wer aber manche Stimmen zur Premiere im vergangenen Jahr und nun im Vorfeld der Wiederauflage am Wochenende hörte, der wusste, dass es noch immer Skeptiker gibt. Ob die sich mittlerweile haben bekehren lassen, sei dahin gestellt. Wer aber nur einige der Veranstaltungen von „lit:potsdam“ in den zurückliegenden drei Tagen besucht hat und sich vorurteilsfrei darauf eingelassen hat, der wird wohl mit Nachdruck sagen können: Selbstverständlich brauchen wir dieses Festival!
Da war die Eröffnung im Park der Villa Jacobs, die gleichzeitig als ein Statement der Organisatoren gelesen werden konnte. Hier haben sich Kultur- und Literaturbegeisterte zusammengefunden, die nicht nur Lesungen organisieren, sondern auch ihre Häuser dafür öffnen. Und jetzt soll bitte keiner kommen und missmutig argumentieren: Die haben ja auch das nötige Kleingeld dafür. Es geht hier nicht um Neiddebatten, sondern um Literatur. Und die war beim 2. „lit:potsdam“ in anspruchsvoller und erfrischender, in vielfältiger und abwechslungsreicher Weise zu erleben.
Allein das Hin- und Her zwischen Denis Scheck und Hans Magnus Enzensberger am Freitag im Park der Villa Jacobs sorgte für frischen Wind im üblichen Lesungsprozedere. Nicht erst der Schriftsteller, der aus seinem Buch liest und dann ein nicht selten allzu vergeistigtes Gespräch. Hier wurde im munteren Plauderton das Leben des mittlerweile 84-jährigen Enzensberger durchmessen, aufgelockert durch kurze Lesungen aus seinem aktuellen Buch „Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern“. Ein Buch, in dem der Leser natürlich auch zu Teilen Enzensberger selbst begegnet, seinem kritisch-intelligenten Blick auf die Welt und auf den Unfug, den die Menschen darin treiben. Pointiert, unterhaltsam und sprachlich ein Hochgenuss.
Wenn dieser Herr Zett sagt: „Nur an dem, was einer nicht sagt, sollte er stets festhalten“ und man dazu das jungenhaft-frische, so lebensfrohe und spitzbübische Lachen von Enzensberger hört, ist das schon ein Erlebnis. Und auch wenn der liebevolle Schlagabtausch zwischen dem Schriftsteller Enzensberger und dem Literaturkritiker Scheck an diesem Abend manchmal doch arg ins Alberne abglitt, bekamen die beiden doch immer wieder die Kurve, verstörten und begeisterten gleichzeitig mit ihrer lockeren Art und zeigten so, dass auch anspruchsvolle Literatur ein Fest der Freude sein kann.
Am Samstag war Enzensberger wieder zu erleben. Dieses Mal zusammen mit dem Schauspieler Udo Samel im ausverkauften Palais Lichtenau. Enzensberger war von den Organisatoren als „Writer in Residence“ nach Potsdam eingeladen worden. Was in Anbetracht eines zweieinhalbtägigen Festivals ein wenig übertrieben klingen mag. Aber natürlich lässt sich auch das als ein Statement lesen. Denn „lit:potsdam“, so die Aussage, plant da wohl mehr für die Zukunft. Mit Hans Magnus Enzensberger als ersten „Writer in Residence“ hat man da dann gleich die Latte recht hoch gehängt.
Samel und Enzensberger lasen gemeinsam aus „Diderot und das dunkle Ei“, wo Enzensberger dem französischen Schriftsteller, Philosoph und Aufklärer des 18. Jahrhunderts einen Reporter mit Aufnahmegerät aus unserer Zeit vor die Nase setzt und zwischen den beiden ein herrlich leichtes und gleichzeitig so tiefes Gespräch entspinnen lässt. Keine lange Einführung, kein Gespräch danach. Nur Hans Magnus Enzensberger und Udo Samel wie in einem kleinen Kammerstück, in dem allein die Sprache die Hauptrolle spielt. Ein wunderbarer Nachmittag im Palais Lichtenau.
Wie schon im Vorjahr galten unter dem Motto „lit:pots for kids“ einige Veranstaltungen den Kindern, zu denen auch die Präsentation von „kidsbook“ gehörte. Hier werden im Potsdamer „Verlag für Kurzes“ Gedichte, Kurzgeschichten und Liedtexte von jungen Autoren im E-Book-Format erscheinen.
Insgesamt waren über 20 Autoren bei „lit:potsdam“ zu Gast, darunter Marion Brasch, John von Düffel, Jens Sparschuh, Juli Zeh und der Historiker Jörn Leonhard. Und auch den politischen Bereich haben die Organisatoren mit einbezogen, nicht allein indem Bundesbildungsministerin Johanna Wanka über ihren Lieblingsautor, Günter de Bruyn, sprach und aus seinen Werken las. Am gestrigen Sonntag war Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in der Schinkelhalle zu Gast, wo er sich mit der Schriftstellerin Janne Teller über die Schnittmengen von Politik und Literatur unterhielt. Es war somit ein weites Feld, das „lit:potsdam“ in seiner zweiten Auflage präsentierte. Und das immer auf einem anspruchsvollen und unterhaltsamen Niveau. Wer am Samstagabend in der Waschhaus-Arena bei der Thrillernacht „Gewissendämonen“ die beiden Schriftsteller Sascha Arango und Sebastian Fitzek zusammen mit dem Fernsehmoderator Uwe Madel erlebt hat, wird dies nur bestätigen können.
Das erste „lit:potsdam“ war die Premiere, mit der zweiten Auflage könne man nun schon von einer Tradition sprechen, hieß es etwas augenzwinkernd am Freitag bei der Eröffnung. Eine Tradition, über die wir uns wirklich freuen können.
Dirk Becker
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