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Kultur: Ein Freak als Keyboarder

Chikinki rocken als moderne Doors das Waschhaus

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Er sieht aus wie ein verrückter Chemieprofessor in billigen Studentenklamotten, wie einer, der mit seiner Intellektuellenbrille im stillen Kämmerlein über die (Un-)Sinnhaftigkeit stofflichen Lebens nachsinnt. Doch Boris Exton, der Keyboarder von Chikinki, strahlt bei dem Konzert der Jungs im Waschhaus am Samstag gegen zwei Uhr morgens auch ein wenig von dem Phänomen aus, das Jim Morrison für The Doors war: Ein durchgeknallter Typ, nur hier am Keyboard, der sich während des gesamten Auftritts Schweißperlen umherwerfend an seinen beiden synthesizenden Tastenbrettern festkrallt und damit den einzigartigen Sound kreiert, der Chikinki ausmacht – eine Symbiose aus britischem Rock und elektronischen Elementen in einem tanzbar-psychedelisch-überdrehten Mix.

Fast so energiegeladen wie der verrückte Tastenspieler wirkt Sänger Rupert Browne. Er ähnelt Peter Doherty, dem drogenden Freund von Supermodell Kate Moss. Und wie dieser singt auch Brown von bewusstseinserweiternden Substanzen. Und ihrer Wirkung auf die Libido. Zudem betreiben Chikinki – übrigens ein Name ohne nähere Bedeutung – ein Stück weit Sozialkritik: „Hate TV“ heißt der passende Song. Musikalisch liegt der Sinngehalt höher: Die Verschmelzung von verzerrten Rock-Gitarren mit TripHop-Rhythmen, allerlei Soundeffekten und jeder Menge abgefahrener Synthiemelodien ist durchaus innovativ und trotz progressiver Untertöne eingängig genug, um die rund 120 Fans zu begeistern.

Um den Reifegrade von Chikinki zu demonstrieren, hilft auch der Vergleich mit ihrer Vorband „SDNMT seidenmatt“ (ja, die heißen wirklich so!): Auch diese versuchen, dass sich Elektronik und Rock vertragen, haben sogar noch einen dicken Kontrabass mit auf der Bühne. Doch bleiben die Kompositionen der Berliner in zu vielen Tempiwechseln, zu vielen Pausen und zu vielen Umschwüngen stecken, der rote Faden ihres Sound zerreißt. Dagegen rocken Chikinki bei Songs wie „Scissors Paper Stone“ oder „Assassinator 13“ mit aufreizender Lässigkeit: Der Band ist die Wirkung ihres Sounds bewusst, cool wie in einer Werbung für seine blauen Jeans bewegt sich Rupert Browne an seinem Mikro, schreit, flüstert, singt mit kehliger Rauchstimme. Fast am Ende sagt er zur Musik seiner Kapelle: „We’re a Teenage Glam Rock Band“. Was aber noch zum echten Glam-Image zu fehlen scheint, ist ein handfestes Alkoholproblem: Zumindest im immer noch vom Sommer aufgeheizten Waschhaus trinken Chikinki nur Wasser. Erst gegen Ende des Gigs dürfen es ein paar Bier sein. Nur der völlig in sich vertieft wirkende Keyboarder Exton trinkt keins. Er dreht dafür weiter an seinem Instrument durch und kommt manchmal so nah an die Tasten heran, dass er fast in sie hinein beißen könnte. Die freakigen Sounds aus seinen nervösen Fingern wabern in den Ohren, zerren, echoen nach. Er ist „Chikinki“, die moderne und junge Variante der Doors – mit leider noch viel zu wenig Publikum. H. Kramer

H. Kramer

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