zum Hauptinhalt

Kultur: Ein frivoles Stück Geschichte

Wolf Biermann kam zu seinem ersten Auftritt nach der Ehrenbürger-Debatte ins Hans Otto Theater

Stand:

Es war das erste Konzert, das Wolf Biermann nach der peinlichen Diskussion um seine Berliner Ehrenbürgerschaft gab. Und natürlich kommentierte er dieses Erlebnis aus der jüngsten Zeit, wie er eigentlich zu allem eine Anmerkung zu machen hatte. Statt seiner hätte sein Freund Robert Havemann geehrt werden sollen, der hätte neben vielen anderen Unterstützern den „kleinen Drachentöter mit dem Holzschwert“, den Biermann in sich sieht, doch erst ermöglicht.

Dieser Siebzigjährige brennt. Schweigen ist seine Sache nicht. Die Zeit ignoriert er. Nach den angekündigten zwei Stunden ist gerade erst ein wenig mehr als die Hälfte des Programms erledigt. Biermann schickt einfach mal sein Publikum in eine Pause, die gar nicht vorgesehen war. Aber wer kann diesem kleinen Mann, mit den spitzbübischen Augen widerstehen? Wenn er seine Lieder und Gedichte in irgendeiner Zeile unterbricht, um mit Wonne zu erklären: was ein „Tier mit zwei Rücken“ sei (ein Paar beim Liebesakt), wo dieses Bild her stamme (Shakespeares Othello), wie er sich den kleinen Finger beim Apfelpflücken „abgefetzt“ hat, und dass es gut ist, seine Toten immer bei sich zu tragen.

Über vierhundert Zuschauer werden zu Zeitzeugen, viele zum wiederholten Mal. Mancher ruft Liedtitel in den Raum, die Biermann singen soll. Für die spielt er Lieder wie „Ermutigung“ oder die „Stasi-Ballade“, in der die ständige Überwachung mit Sarkasmus hoch gepriesen wird.

Dieser Liedermacher, der auf Einladung des HOT, des Brandenburgischen Literaturbüros und des Literaturladens Wist mit seiner Präsenz Ordnung und Zeit aushebelt, ist ein Stück Geschichte. Die halbe Familie als Juden von den Nazis umgebracht, 1976 von seinem Staat mit Ausbürgerung heimatlos gemacht.

Biermann ist darüber hinaus ein ziemlich frivoles, fleischliches Stück Geschichte. Biermanns Trieb ist stark, wo doch bei ihm Liebe eine politische Dimension besitzt. „Die Stasi war klüger als wir“, meint er, und ein missbilligendes Raunen geht durch den Raum. In seiner Akte las er das Ziel der Staatssicherheit, alle seine Liebesbeziehungen zu zerstören. Klüger wären die „dummen Schweine“ dennoch, „denn die wussten, wer nicht ruht in der Liebe zu einem Menschen, hat im Streit mit anderen nichts entgegenzusetzen.“

Biermann ist laut, immer noch ruhelos. Die Saiten seiner Gitarre zupft er mit spanisch anmutendem Temperament, da ist Flamenco herauszuhören. Das Klavier, seltener bedient, spielt Biermann dramatisch, jeder Ton eine Verstärkung des Temperaments. Die Melodien: aufgewühlt.

Natürlich ist hier ein großes Ego auf der Bühne, das sich immer neue Titel sucht. „Glückskind“ nennt er sich und sein Programm, weil er auf dem Rücken der schwimmenden Mutter das Flammeninferno der Hamburger Bombardierung überstanden hat. Dieses riesige Ich sieht sich als alter Pinienbaum, gebeugt, jedoch nicht gebrochen. Dieser alte Baum, der sich immer noch beweisen muss, dass er frische Früchte tragen kann, traut sich etwas. Lange redet der Liedermacher über den Kommunismus, an den er fest geglaubt habe. Jetzt ist er sich sicher, dass dieser „Weg ins Paradies“ in schlimme Höllen geführt habe. Diese „Endlösung der sozialen Frage“, so Biermann über den Kommunismus, sei nicht weniger schlimm, als die Endlösung der Judenfrage gewesen. Und dann noch bekräftigend: „Ich weiß, was ich sage!“

Ein Streitender, der nicht erwartet, dass alle seine Lieder lieben. „Ist doch klar!“, ruft Biermann ins Publikum, wenn er eine seiner vielen Erkenntnisse teilt.

Zum Ende hin, im letzten Teil des Abends, haben die Redeanteile dann doch zu- und die Liedanteile ein wenig abgenommen. „Wir sitzen noch bis morgen hier“, scherzt Biermann. Da wird dann dem Publikum doch langsam bange, nach fast drei Stunden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })