Kultur: Ein galoppierendes Pferd und viel Pelz
Deutschlandpremiere mit „Cheval“ im T-Werk und Nordisches in der fabrik
Stand:
Die meisten Pferde haben drei Gangarten: Schritt, Trab und Galopp. Das „Cheval“ von Antoine Defoort und Julien Fournet galoppierte zu seiner Deutschlandpremiere auf den Potsdamer Tanztagen über die Bühne des T-Werks. Es ließ sein Publikum nicht zurück, sondern nahm es von Anfang an mit auf einen irren Ritt voller Gelächter. Der Spieltrieb war mit diesen beiden Künstlern durchgegangen: Bälle wurden wild durch die Gegend geschossen, ein Klavier mit Füßen getreten, Gitarren spielten Tennis und ein Boxsack sang die „Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi.
Musik ist ganz offensichtlich eines von Antoine Defoorts Steckenpferden. Selbst aus Worten wie „Yoghurt“, „Biskuit“ und „Drink“ lässt er ein dreistimmiges Stück entstehen. Scheinbar Banales wurde hier unterhaltsam in Kunst verwandelt, als wäre man mitten in einem der surrealen Filme von Michel Gondry gelandet. Auch Begleitung hatten die beiden Künstler mitgebracht: Auf einer großen Leinwand ließen Defoort und Fournet mal einen Chor aufmarschieren, mal ihre eigenen Doppelgänger oder nutzen sie für Kommentare an das Publikum.
Außerdem diente sie wie eine riesige Powerpointpräsentation dazu, den Aufbau der experimentellen Szenerie zu erklären, die überall mit elektronischen Kontaktpunkten versehen war. Trotz der technischen Vorbereitung hing das Gelingen der Show von der Geschicklichkeit der beiden Artisten ab. Die Bühne wurde zu einem großen Spielzimmer, in dem alles erlaubt war. Diese Vorstellung konnte man nur mit einem glücklichen Lächeln verlassen.
Wenn man dann zum Saal in der Fabrik hinübereilte, vollzog sich der Wechsel in eine andere Gangart abrupt. Das BallettVorpommern hatte sich nordische Klischees auf die Stafetten geschrieben: Elche, nackte Körper und sphärische Trollklänge bedienten so in „Es ist nur ein weinendes Stück“ höchstens Erwartungen an eine Schulproduktion. Dem nackten Elch hätte man neben dem großen Fellkopf auch gerne ein Fellhöschen gewünscht. Hätte er sich doch nur nicht umgedreht und wäre auch noch am vorderen Rand der Bühne stehen geblieben. Alle Blicke richteten sich auf die Tänzerin, die sich noch nicht bewegte. Das war nicht provokant, nicht ästhetisch, nur überflüssig.
Wie aber aus den gleichen Zutaten etwas werden kann, zeigte Sebastian Matthias’ Choreographie „Nordische Weise“. Auch hier wurden viel Körper und Pelz zur Schau gestellt. Dazu die im modernen Tanz übliche elektronische Geräuschkulisse mit Knistern, Knattern, Ächzen bis hin zu Jahrmarktklängen. Ein Eisblock krachte zu Beginn auf die Bühne. Dennoch fand sowohl in der Musik sowie in den Bewegungen der Tänzer alles statt, was dem Vorgänger gefehlt hatte.
Von Anfang an war eine Dynamik zwischen den Körpern zu spüren, die das ganze Stück hindurch nicht eine Sekunde entspannen durften. Hier hat ein Choreograph seine Tänzer richtig gequält und ihnen vollen Einsatz abverlangt. Zwischendurch ist der Zuschauer nicht mehr sicher, was er vor sich sieht, menschliche Körper, Roboter oder Tiere, synthetische Lebensformen? Die Tänzer bewegen sich, als wären sie Teil eines einzigen Organismus. Zuckungen gehen durch sie hindurch, übertragen sich auf den nächsten, sie nähern sich einander, stoßen sich ab, fallen alle gleichzeitig in sich zusammen. Assoziationen überlagern sich von weiten Wäldern, arktischen Eisflächen oder unbestimmten Orten.
Auch ohne Handlung ist eine Entwicklung sichtbar. Schließlich nähern sich die Körper langsam aneinander an. Als am Ende Wasser auf die Bühne tröpfelt, wird das Anfangsbild wieder aufgenommen. Das Eis ist gebrochen und schweißgebadet nahmen die Tänzer respektvollen Applaus entgegen. Es geht also auch ohne trabende Elche. Undine Zimmer
, ine Zimmer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: