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Von Dirk Becker: Ein ganzer Kosmos in nur einer Tonart

Bachs „Kunst der Fuge“ mit Musikern der Kammerakademie morgen im Foyer des Nikolaisaals

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Sie haben sich ein wenig verloren in den Proben. Nie unter vier Stunden gespielt. Als Belastung haben sie es nicht empfunden. Eher im Gegenteil.

Im Mai haben Christiane Plath und Julita Forck, Annette Geiger und Christoph Hampe von der Kammerakademie mit den Proben für ihr morgiges Kammerkonzert im Foyer des Nikolaisaals begonnen. Als Gast haben sie die Cembalistin Christine Tschirge dazu geholt. Auf dem Programm: Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“.

Dieses große, kontrapunktische Werk. Ein Zyklus von vierzehn Fugen und vier Kanons, in dem Bach zeigt, welche musikalischen Variationsmöglichkeiten über ein Fugenthema möglich sind. Alles in einer Tonart: d-Moll. Bach hat nicht schriftlich festgelegt, auf welchen Instrumenten dieser Zyklus gespielt werden soll. Die letzte Fuge blieb unvollendet. „Über dieser Fuge, wo der Name BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben“, hat Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel auf das Notenblatt geschrieben.

„Es entsteht ein regelrechter Sog, der einen hineinzieht in diese Tonart d-Moll“, sagt Cellist Hampe. Den Zyklus „Kunst der Fuge“ hatte Hampe vor den Proben noch nie gespielt. „Es gibt Stücke, vor denen man ein Leben lang Respekt hat“, sagt er. Aber je öfter die Musiker zu den Proben zusammenkamen und sich den Fugen genähert haben, umso mehr hat sich der Bachsche Kosmos geöffnet, hat Hampe das Spiel genossen.

Für die Bratschistin Annette Geiger bedeutet die „Kunst der Fuge“ Gleichberechtigung pur. „Alle Stimmen sind auf einer Stufe“, sagt sie. Nicht wie in so vielen Streichquartetten, wo die Bratsche auf die reine Begleitung beschränkt ist und fast nur der ersten Geige dominiert. Aber warum haben sich die vier Musiker der Kammerakademie nicht für ein reines Streichquartettkonzert entschieden und die Cembalistin Christine Tschirge dazu geholt?

„Alles was mehr Farbe bringt, die einzelnen Stücke bereichert, kann nur gut sein“, sagt die Violinistin Julita Forck. Hinzu komme, dass nicht alle Fugen optimal durch ein Streichquartett zu besetzen seien. Während der Proben habe sich gezeigt, dass hier das Cembalo und die Truhenorgel mehr Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten habe. Soll durch den Wechsel zwischen Streichquartett und Cembalo vielleicht auch ein stärkerer Kontrast, ein Bruch mit den Hörgewohnheiten erreicht werden? Julita Forck schüttelt den Kopf. Es gehe nicht um einen Bruch sondern um klangliche Abwechslung.

Bei Zeitgenossen hat Bachs Fugen-Zyklus zu manch scharfer Kritik geführt. Die streng kontrapunktische Kompositionsform wurde damals als überholt und antiquiert empfunden. Christoph Hampe kann diese Kritik heute nur verwundern. Während der Proben hat er sich immer mehr hineingehört, herangetastet und dabei erkannt, mit welcher Radikalität und gleichzeitig zukunftsweisend Bach über den Kontrapunkt komponiert hat. „Das findet man in dieser Art erst wieder bei Beethoven“, sagt Campe.

Das morgige Konzert werden die Musiker auf Barockinstrumenten spielen. Obwohl sie bei manchen Proben auf modernen Geigen, Bratsche und Cello mit Stahlsaiten gespielt haben, stand für sie nie zur Debatte, dies auch im Konzert zu tun. „Diese Musik braucht die Wärme der Darmsaiten“, sagt Julita Forck. „Auf Barockinstrumenten zu spielen, gibt mir das Gefühl, als würde ich die Musik mit einem Pinsel malen“, sagt Violinistin Christiane Plath. Diese Form der Empfindsamkeit sei auf modernen Instrumenten nicht zu erreichen.

In dieser Empfindsamkeit, in die Bachsche Kunst der Fugen haben sie sich bei den Proben immer wieder verloren. Wenn es dem Zuhörer während des anderthalbstündigen Konzertes genauso geht, haben sie viel erreicht.

„Die Kunst der Fuge“ mit Musikern der Kammerakademie Potsdam beginnt morgen, 16 Uhr, Foyer des Nikolaisaals.

Dirk Becker

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