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Interview mit Elias Perrig: „Ein gnadenloser Blick auf die Gesellschaft“

Elias Perrig inszeniert „Das schwarze Wasser“ am Hans Otto Theater. Im Interview spricht er über die Besonderheiten und Herausforderungen des Textes

Stand:

Herr Perrig, Roland Schimmelpfennig hat mit „Das schwarze Wasser“ einen fast lyrischen Text geschrieben, wie bringen Sie diese Wörterpoetik auf die Bühne?

Das Interessante ist, dass man beim Lesen unglaublich plastisch die Situationen sieht, die erzählt werden. Das ist auch das Interessante an dem Text. Allerdings auch das Komplizierte, vor allem beim Proben, weil man verleitet wird, das, was erzählt wird, eins zu eins abzubilden. Was aber gar nichts bringt, weil diese Bilder immer schwächer sind als die imaginierten. Das hat viel mit Textstruktur zu tun, auch mit der Rhythmik, es ist tatsächlich wie Lyrik, wie Sie schon sagen. Darüber erzählt sich eigentlich unglaublich viel, vor allem eine Sinnlichkeit des Moments. Letztendlich fokussiert sich die Arbeit darauf, wie plastisch man all diese Bilder im Kopf erzeugt.

Nun ist das hier gar nicht so einfach, da der Text in seiner Erzählung immer wieder zwanzig Jahre vor- und zurückspringt: von Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen, die einander in jungen Jahren mit Hoffnungen und Träumen begegnen, sich aneinander annähern, um zwanzig Jahre später aber genau dort in der Gesellschaft anzukommen, wo schon ihre Eltern waren. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das ist natürlich genau ein Hauptteil der Arbeit, das so trennscharf hinzubekommen, dass der Zuschauer beim ersten Mal Hören hoffentlich beide Situationen im Kopf hat. Das hat sehr viel mit dem Bewusstsein der Erzähler zu tun, die eigentlich immer die ganze Geschichte im Kopf haben müssen, mit Fokussierung auf bestimmteThemen. Aber ich mag das an dem Stück eigentlich ganz gerne, dass es von Anfang an springt und sich durchaus bewusst verweigert, in einer Situation zu bleiben. Das heißt, man ist von der Perspektive wie ein dritter Außenstehender, der weiß was passiert und der sich eben nicht in einer romantischen Situation vor zwanzig Jahren verliert.

Wie schaffen Sie es, genau das trotz der poetisch aufgeladenen Sprache zu vermeiden?

Indem ich konsequent dagegen arbeite. Denn das Stück ist zwar geschrieben wie ein Gedicht und wir assoziieren Gedichte an sich oft mit Romantik, aber in dem Moment, in dem man sich zwingt, die Sprache konkret zu denken, ist sie gar nicht romantisch, ganz im Gegenteil. Eigentlich ist es sogar ziemlich hart, was da verhandelt wird. Es ist ein gnadenloser Blick auf die Gesellschaft. Und auch der Ursprung dieser vermeintlichen Romantik ist eigentlich nicht romantisch. Schließlich treffen dort zwei soziale Gruppen aufeinander, die sich fast verprügeln. Und erst dann entsteht etwas, was so schön ein Funken genannt wird, nämlich die Vision, dass eine Gesellschaft auch miteinander leben könnte. Anhand dieses Ursprungsfunkens wird dann abgehandelt, wie sich diese Vision Stück für Stück in den zwanzig Jahren als Illusion entpuppt.

Elias Perrig wurde 1965 in Hamburg geboren, studierte zunächst Molekularbiologie in Basel und begann 1987 mit Regieassistenzen seine Theaterlaufbahn. 1993 ging er als Regisseur ans Staatstheater Kassel und war danach unter anderem in Lübeck, Kassel, Hannover, Zürich und Stuttgart tätig. Seit 2012 arbeitet Perrig wieder freischaffend. Am Potsdamer Hans Otto Theater inszenierte er „Die Opferung von Gorge Mastromas“ von Dennis Kelly,„Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams und „Zorn“ von Joanna Murray-Smith.

Das Stück behandelt also die Problematik einer misslungenen Integration?

Ja, und die Türken, um die es hier geht, sind ja schon zweite, dritte Generation, das heißt, es geht nicht um Neuintegration, sondern man denkt, die Leute müssten eigentlich dieselben Chancen haben wie alle anderen, auf Universitäten gehen oder Ähnliches. Aber die Realität sieht oft ganz anders aus. Darum dreht sich eigentlich das Stück.

Ähnlich wie die Zeiten verschmelzen in dem Stück auch die Figuren miteinander, haben Sie den Schauspielern trotzdem feste Rollen zugeteilt?

Nein, es ist im Stück schon so angelegt. Da steht dann „ein Mann sagt“ oder „eine Frau sagt“. Es ist bewusst nicht Figuren zugeordnet, das erscheint mir auch sehr wichtig, es wäre sonst ein komplett anderes Stück, wenn ich Rollen zuordnen würde. Für die Schauspieler ist das natürlich eine Herausforderung, da sie eben keine Figuren spielen. Das ist sehr geschickt gemacht von Schimmelpfennig, wie er mit Assoziationen spielt, dass man immer mal wieder denken könnte, das ist jetzt Leyla oder das ist jetzt Frank, aber dann ist es doch wieder anders.

Welche Funktion haben die Schauspieler denn dann auf der Bühne?

Es geht darum, dass eine Gruppe von Leuten eine Geschichte erzählt und das erzeugt nochmal etwas sehr Eigenes, nämlich fast automatisch eine gesellschaftliche Analyse. Denn beim Erzählen hat man ja immer das Bewusstsein, was man erzählt und warum. Das war auch die Hauptarbeit, einen Ton zu finden, der sich mit der Zeit verändert und eine Geschichte erzählt, ohne dabei trocken zu werden. Es muss ja trotzdem alles plastisch sein.

Jeder Schauspieler ist also ein Erzähler?

Ja, ganz genau. Deswegen gab es auch sehr viel Textarbeit. Zwei Drittel der Probenzeit fanden am Tisch statt. Denn man muss hier sehr genau hinschauen, ein Komma anders gesetzt und der Text bekommt eine andere Bedeutung. Da muss man sehr aufpassen und sehr sicher sein, weil der Abend meiner Meinung nach davon leben muss, dass man das Gefühl hat, das ist keine Anstrengung, sondern hier wird selbstverständlich eine Geschichte erzählt.

Irgendwie klingt das alles etwas statisch, wie bringen Sie während des ganzen Erzählens Dynamik auf die Bühne?

Tatsächlich ist es sehr viel Technik, also den Rhythmus halten und viel üben, üben, üben. Die Schauspieler müssen wissen, welcher Text kommt, das ist ganz wichtig. Das Stück hat eine Erzählstruktur, die am Anfang mit kleinen Elementen daherkommt und dann kommen immer mehr dazu, auch neue Figuren. Diese Dynamik versuchen wir zu erfassen, auch wiederkehrende Motive aufzugreifen. Schimmelpfennig spielt sehr viel mit Farben, das versuchen wir aufzunehmen. Oder auch die heimlichen Beziehungen zwischen den Erzählern, die eher unterbewusst ablaufen und einen lebendigen Kosmos bilden.

Sie haben insgesamt sieben Darsteller besetzt, alle sehr unterschiedlich in Alter und Erfahrung. Wollen Sie damit die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen herausstellen?

Nicht wirklich. Es deutet sich an, aber ich finde es gerade gut, dass man nicht weiß, wer wer ist. Es müssen ja auch, wie gesagt, nicht unbedingt Türken sein. Es geht eher um das Prinzip der Chancengleichheit, um eine Bandbreite der Gesellschaft, deshalb auch die Besetzung. Mir war wichtig, unterschiedliche Lebensperspektiven zu haben. Es ist natürlich ein Unterschied, wenn Andrea Thelemann vom Flirten mit 18 Jahren erzählt oder wenn Larissa Aimée Breidbach davon erzählt, für die das noch viel näher ist. Das macht auch die Färbung aus.

Das klingt dann aber doch wieder nach Figurenzuordnung.

Naja, das ist ziemlich wichtig, um alles plastisch erzählen zu können. Die Schauspieler müssen ganz genau wissen, wer die Figuren sind, auch wenn sie sie nicht spielen. Aber sie müssen sie erzählen können. Sie müssen also Figurenarbeit betreiben, ohne dass es Figuren gibt. Letztendlich wird aber nur der Nachtwächter lediglich von einem Schauspieler erzählt, weil die Figur eine spezielle Rolle ist.

Inwiefern?

Er ist genau die Ambivalenz, die Vermittlerrolle zwischen den beiden Gruppen. Er ist auch eine mystische Figur, irgendwie. Er bündelt auch das zentrale Thema in einem Satz, wenn er sagt: „Wir sind alle Gottes Kinder“. Es ist der Satz zu der Vision des Stückes, alle Menschen sind am Anfang gleich und entwickeln sich erst im Laufe der Zeit auseinander. Das finde ich sehr spannend.

Weil Sie gerade vom Nachtwächter des Schwimmbades sprechen, wird es Wasser auf der Bühne geben?

Konkrete Bilder stellen wir gar nicht da. Das haben wir immer wieder versucht und ich fand es schrecklich. Das ist natürlich Geschmackssache, aber ich denke, das, was man denkt, muss man nicht auch bebildern, das ist bei dem Text sogar eher eine Gefahr. Hierbei bilden sich eher Atmosphären, wie Entspannung oder so etwas. Das bildet sich dann in den Körpern, im Erzählen der Darsteller ab, die auch alle immer auf der Bühne sind.

Die ganze Zeit?

Ja, sie befinden sich in einem geschlossenen Raum, alle sind irgendwie aus der Gesellschaft gefallen. Denn letztendlich kann es ja jedem passieren. Damit spielt die Ästhetik. Ich merke auch gerade, dass es gar nicht so einfach zu beschreiben ist, was genau da auf der Bühne passiert, aber ich glaube, Erzählen kann manchmal sehr viel sinnlicher sein als Spielen.

Das Gespräch führte Sarah Kugler.

„Das schwarze Wasser“ hat am Freitag, dem 18. September um 19.30 Uhr im Neuen Theater in der Schiffbauergasse Premiere. Die Karten kosten zwischen 13 und 33 Euro

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