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Kultur: Ein großer Abend mit drei Russen Der Pianist Amir Katz spielte im Nikolaisaal

Zufall oder Absicht? Das Programm der saisonfinalen „Klassik am Sonntag“-Reihe im Nikolaisaal hielt Werke russischer Komponisten bereit, die alle im Jahre 1909 entstanden sind.

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Zufall oder Absicht? Das Programm der saisonfinalen „Klassik am Sonntag“-Reihe im Nikolaisaal hielt Werke russischer Komponisten bereit, die alle im Jahre 1909 entstanden sind. Eine originelle Idee der Brandenburger Symphoniker und deren Chefdirigenten Michael Helmrath, einen historisch winzigen Augenblick wimpernschlagsgleich in Augenschein zu nehmen. Übrigens gab in jenem Jahr außerdem Hans Breuer seine Wandervogelliedersammlung „Der Zupfgeigenhansel“ heraus, gründete Djaghilew in Paris sein Ballett russe, malte Kandinsky seine expressionistische „Landschaft mit Häusern“.

Eher von impressionistischem Zuschnitt zeigte sich dagegen die Tondichtung „Der verzauberte See“ von Anatol Ljadow, mit der das von Clemens Goldberg am Sonntagnachmittag locker moderierte Konzert im Nikolaisaal eröffnete. Geheimnisvolles Schwirren und Sirren umgarnte die Sinne, Klangfarbenspiele voller Duft und Durchsichtigkeit funktionierten nicht nur als faszinierende, gleichsam märchenhafte Naturbeschreibung, sondern auch als Spiegelbild der menschlichen Seele. Es schien, als stünde die Zeit still. Staunenswert war das weiche und geschmeidige, geradewegs sinnliche Klangweben der Musiker.

Ljadows 18-jähriger Schüler Sergej Prokofjew geht dagegen in seiner A-Dur-Sinfonietta op. 5/48 ganz andere Wege. Ihre fünf Sätze sind von übermütigen rhythmischen Impulsen durchzogen, erzählen lustige Geschichten von Gauklern, Spaßmachern und vom Jahrmarktstreiben. Und sie ziehen gleichzeitig die russische Märchenerzählerei mit ihren Recken und Ritterhelden ein wenig durch den musikalischen Kakao. Es schnalzt und wispert, gibt sich keck und provokant, zeigt sich durchsichtig und zart wie ein seidenes Frauengewand – alles sehr konkret und sehr irdisch. Eine vergnügliche Wiedergabe.

Und dann erschien Sergej Rachmaninows von Liebhabern inzwischen liebevoll „Rach 3“ genanntes Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30 auf der 1909-Szenerie und damit auf dem Nikolaisaalpodium. Es zitiert die russische Melodie „Soldaten am Grab“, paraphrasiert über Rimski-Korsakows „Russische Ostern“ und gewinnt sich daraus das anspruchsvolle Spielmaterial. Der enorm schwierige Solopart bringt jeden Pianisten gehörig zum Schwitzen. Auch den israelischen Virtuosen Amir Katz, dem jedoch das Kunststück gelang, alle Aufgaben fast mühelos erscheinen zu lassen. Von den eingängigen und unaufhörlich flutenden Melodiewogen zwischen Solist und Orchester über rasante Tastenläufe und Trillerketten bis hin zur virtuos-donnernden Solokadenz und den lyrischen Ruhepunkten entstand so ein ständiges Auf und Ab der Stimmungen und Leidenschaften. Ihre phänomenale Gestaltung ließ einen schlichtweg staunen. Dabei bewies Katz enorme manuelle Geschicklichkeit. Unverkrampft und leicht, nahezu sportiv war sein Anschlag, unsentimental und voller Intensität sein Ausdruck. Als umsichtiger Steuermann durch alle Stromschnellen, Untiefen und sonstige Fährnisse erwies sich auch der künstlerische Leiter Michael Helmrath. Dem Finalrausch folgten vom Publikum stehend dargebrachte Ovationen, denen er mit Zugaben wie der empfindsam vorgetragenen Schumannschen „Träumerei“ dankte. Ein großer Abend. Peter Buske

Peter Buske

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