
© Jean-Pierre Estournet
Kultur: Ein Hans, kein Glück
„Ton und Kirschen“ mit einer leidenschaftlichen Brecht-Adaption von „Hans im Glück“
Stand:
Im Schwank „Hans im Glück“, der in den Hausmärchen der Gebrüder Grimm zu finden ist, ist die Hauptfigur ein Kindskopf, der für seine Arbeit mit einem kopfgroßen Klumpen Gold entlohnt wird. Den tauscht er gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und die Gans schließlich gegen zwei Steine, die ihm in einen Brunnen fallen. Hans wiegt sich jedes Mal im Glauben, ein gutes Geschäft gemacht zu haben – und auch als er die Steine verliert, läuft er „mit leichtem Herzen und frei von aller Last“ nach Hause zu seiner Mutter. So weit, so gut, um die Geschichte einordnen zu können.
Aber nicht so bei Brecht: Das könnte ja dem Meister des epischen Theaters auch so passen, dass ein Einfaltspinsel in der grausamen Welt mit einem Lächeln davonkommt. Nein, seine Parabel stellt mit Brechtscher nüchterner Sachlichkeit die Dinge so dar, wie sie nun mal sind: Wer unter die Räder kommt, der verliert alles, sein Hab und Gut, und schließlich sein Leben. Und diese brutale Abwärtsspirale hat das Werderaner Wandertheater „Ton und Kirschen“ derzeit auf dem Belvedere am Pfingstberg inszeniert.
Dass man es mit einem Wandertheater zu tun hat, trifft sich draußen, Open Air, ganz gut, ist doch die Wiese vor dem Belvedere wie geschaffen als Bühne. Und eben auc h weil „Ton und Kirschen“ ein Wandertheater sind, darf es auch etwas leichter, aber dafür umso leidenschaftlicher zugehen: Das Ensemble spielt in einer grundsympathischen Schieflage auf. Und wenn das Orchester – inklusive Banjo und Trompete – laut und etwas windschief zum Anfang posaunend auf die Wiese zieht, wird der imaginäre Graben zwischen Darstellern und Publikum fast unsichtbar.
Hans (Rob Wyn Jones) ist hier ein Einfältiger, der es sich unter dem Pantoffel seiner Frau (Tanja Watoro) bequem gemacht hat und der nur zu seinem Glück kommen will. Das hat er eigentlich schon in der Hand: mit seinen Kühen auf seinem Hof, mit seiner Frau und genug zu essen. Das Übel kommt von außen: Ein reicher Mann (Richard Henschel) stört den Frieden, dringt in die Fragilität und nimmt ihm mit penetranter Lüsternheit seine Frau: Hans solle ihr sagen, dass er sie nicht mehr will und dass er an allem schuld sei, flüstert er dem willenlosen Hans ein. Und der lässt sie ziehen.
Das Haus verfällt, der Schnaps geht zur Neige und Hans versinkt in Apathie und kindlichem Trotz, bis er erneut über den Tisch gezogen wird: Ein selbst ernannter Freund (David Johnston) stiehlt ihm den Gaul, Hans tauscht den Hof gegen einen Wohnwagen und zieht mit ihm los, um ihn gegen ein Karussell zu tauschen. „Warum seid ihr so traurig? Es ist alles so schön!“, ruft der Geblendete mit feuchten Augen in die ihm so übel mitspielende Welt.
Hans, das Opfer der Manipulation, ist jedoch nicht als Identifikationsfigur angelegt: Seine grenzenlose Naivität zieht das Unglück vielmehr an und zwingt einen, ihm bei seinem Weg ins Verderben zuzusehen. Wie Hans über jedes weitere Unglück frohlockt, hat natürlich etwas wahnsinnig Mitleiderregendes – aber dem Stück geht es auch um die bedingungslose Dekonstruktion der zentralen Figur. Vielleicht ist diese Geschichte aber auch mit der biblischen Hiob-Parabel zu vergleichen: Wer zweifelt, dem entweicht das Glück; Hans ist so in stoischem Optimismus gefangen. Und fasst es einfach nicht, dass er zum Spielball des Weltübels wird: Für ihn ist alles nicht gleich schlecht, sondern gleich gut. Und überhaupt, was will man eigentlich von ihm: „Ich kann gar nicht so schnell denken!“, schreit er irgendwann schmerzhaft auf. Aber da ist sein Schicksal schon längst besiegelt.
Das Ensemble „Ton und Kirschen“ würzt die Inszenierung mit liebevollen Details: Als Hans seine Frau um des Überlebenswillen mit der Karussellbesitzerin betrügen muss, wird die Szene mit Marionetten dargestellt, um das zu zeigen, was explizit nicht gezeigt werden soll (Bühne: Daisy Watkiss). Und irgendwann setzt dann diese Ergriffenheit ein, die Brecht wohl ausgespart hätte: Stetig schaukelt sich die Schauspieltruppe hoch, wobei sie auch zu Requisiten greift, die Brecht niemals erlaubt hätte. Aber was weiß der schon: „Hans im Glück misslungen, ein Ei, das halb stinkt“, notierte der Meister in sein Tagebuch, als er das Manuskript 1919 in einer Schublade vergrub.
„Hans im Glück“ wieder am heutigen Freitag um 20 Uhr im Belvedere auf dem Pfingstberg. Eintritt 20 /erm. 17 Euro
Oliver Dietrich
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