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Kultur: Ein Haus für einen Käfer

Enthüllung von Georg Seiberts Kunstwerk „Ein deutsches Wunder“ am VW Design Center in der Schiffbauergasse

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Während auf dem Gelände der Schiffbauergasse am Samstagnachmittag die bunten „People“ von Performance-Künstler Emmett Williams das baldige Kommen des museum Fluxus+ ankündigten und sich das Schiffbauerfest mit schaulustigen Flaneuren füllte, steigerte sich die Spannung am VW Design Center. Der dreidimensionale Kasten auf der Wiese am Wasser wurde vom Schatten des modernen Gebäudes vor allzu praller Sonne beschützt. Es war ein feierlicher Moment, als das hellblaue Riesentuch angehoben wurde, das das Kunstwerk von Georg Seibert „Ein deutsches Wunder“ verhüllte. Da waren zunächst nur Stahldrahtgebilde zu sehen, eine Art Käfig, in dem sich die Skulptur befindet. Doch irgendwann blinkten die Stoßstangen über den geradezu lieblich wirkenden kleinen Rädern. Graublau schimmerten die Rundungen des Kultwagens, der in seiner ganzen glotzäugigen Schönheit zum Vorschein kam und so viel Symbolik in sich trägt, dass man ihn schon mal in einen silbernen Käfig einsperren kann. Das Nummernschild des Autos zeigt kurzerhand den Namen des Künstlers und lautet: „Georg Seibert 2004/06“, denn der 1939 im Schwarzwald Geborene hatte schon vor drei Jahren die Idee, dem fleißigsten deutschen Wagen ein Denkmal zu setzen und damit „dem Pessimismus in unserem Land entgegenzuwirken", wie es in der Einladungskarte heißt. Seither wandert das Auto in seinem Haus durch das pessimistische Deutschland. Das Stahldrahtgerüst, in das das Auto eingepasst wurde und nun nicht mehr allein herauskommt, bildet ein Dach über seinem abgerundeten Kopf, und das sieht nicht so platt aus wie viele Garagen, sondern läuft spitz zu wie bei einem veritablen Wohnhaus. Georg Seibert ist als der Haus-Bildhauer bekannt. In seinem wendländischen Wohnort stehen viele verfremdete Häuser im Skulpturenpark.

Man kann nun trefflich darüber streiten, ob das „Deutsche Wunder“ auch gleichzeitig einen Abgesang der automobilen Gesellschaft symbolisiert und damit in einen ironischen Dialog zum VW-Design-Center tritt oder ob es tatsächlich eine Lobpreisung auf das mit 21,5 Millionen Exemplaren meistverkaufte Auto der Welt ist. Dass es da auf der Wiese augenzwinkernd mit den neuen Brüdern und Schwestern, die im Design-Center mit hypermoderner Software entworfen werden, kommuniziert, ist ein Gedanken anregender Kontext. Die beiden Geschäftsführer des VW-Centers, Thomas Ingenlath und Michael Dinné, waren jedenfalls hellauf begeistert von diesem Kunst-Werk. Durch das Stahldrahtgerüst fühlen sie sich an ihre dreidimensionale Entwicklungssoftware erinnert, denn die setzt ihre neuen Entwürfe in ein ähnliches Raster. Ohne es zu wollen, hat Georg Seibert also mit seinem Autohaus zugleich die Fortschritte des Designs mit thematisiert.

Pessimistisch wirkten weder die Vernissage-Gäste noch die Käfer-Enthusiasten, die mit ihren rollenden Oldtimern angefahren waren, um dem Ereignis noch mehr sentimentale Rückschau zu ermöglichen – der Star unter ihnen war ein rot glänzendes Käfer-Cabrio, das ein Modell wie ein Baby auf dem Gepäckträger transportierte. So hatten alle die Möglichkeit, sich über den Symbolgehalt dieses urdeutschen Wagens Gedanken zu machen, wobei man tunlichst vergaß, dass Hitler 1938 den Grundstein des ersten VW-Werkes gelegt hatte. Der Plan, hier einen Wagen für das Volk zu produzieren, wurde allerdings durch den Zweiten Weltkrieg zunichte. In den fünfziger Jahren gelang dann der Aufstieg zur Autonation mit diesem Modell. Alle Hoffnungen auf Wohlstand und Aufschwung kulminierten in dem wohlgeformten Wagen.

Und heute treffen sich da eben die nostalgischen Erinnerungen: Kinder, die fast darin geboren wurden, Liebende, die die schönsten Ausflüge damit unternahmen, später die Streitereien der Kinder auf der engen Rückbank, erste Campingurlaube in Italien, wobei das Auto auch die Konservendosen mit in das Land, in dem die Zitronen blühen, transportierten. Was den Franzosen die göttliche Citroen-DS (déesse = Göttin) ist, ist den Deutschen eben bodenständig der VW-Käfer. Ob er jetzt tatsächlich neu zum Symbol für Hoffnung und Aufschwung taugt, muss sich erst noch erweisen.

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