Kultur: Ein Jedermann
Elias Perrig bringt „Die Opferung des Gorge Mastromas“ auf die Bühne des Hans Otto Theaters
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Es beginnt so banal, das es fast schon weh tut. Mit dem 15. Juli 1976 eröffnet Dennis Kelly seine Geschichte über Gorge Mastromas. Es ist der Tag, an dem besagter Gorge gezeugt wird. „Der Liebesakt war nicht besonders genussreich, aber auch nicht besonders unerfreulich. Gorges Vater war nicht in Stimmung gewesen Gorges Mutter war nicht in Stimmung gewesen aber sie hatten sich schon länger nicht mehr geliebt, und so entsprang der Akt einem beiderseitigen unausgesprochenen Schuldgefühl“, heißt es ein paar Zeilen weiter. Es sind wenige Worte, die der englische Autor Dennis Kelly braucht, um das Zwischenmenschliche so klar und schmerzhaft deutlich in all seiner Banalität und Vergeblichkeit aufzuzeigen. Doch die wahre Meisterschaft von Dennis Kelly besteht darin, dass seine Sprache, seine Geschichten keine Distanz zulassen. Man schaut niemandem einfach nur dabei zu, wie das Leben über ihm zusammenschlägt. Es ist, als würde man in einen Spiegel schauen und sich selbst erkennen. So auch bei Gorge Mastromas.
„Dieser Gorge ist kein spezieller Mensch“, sagt Elias Perrig. Er ist ein Jedermann. Am Freitag ist das Leben dieses Jedermanns, das unaufgeregt Alltägliche und der brutale Aufstieg in „Die Opferung des Gorges Mastromas“ in der Regie von Elias Perrig am Hans Otto Theater zu erleben. Ein Abend, der mit Sicherheit viele schmerzhafte Momente bieten wird. Die in ihrer schmerzhaften Wahrheit aber auch sehr erhellend sein können.
Elias Perrig, der von 2006 bis 2012 Schauspieldirektor am Theater Basel war, hat Dennis Kelly zum ersten Mal vor fünf Jahren auf die Bühne gebracht. Eine geplante Produktion konnte nicht stattfinden. Und weil Perrig schnell Ersatz brauchte, rief er bei der Theaterabteilung vom Rowohlt-Verlag an, wo ihm prompt „Liebe und Geld“, das gerade auf Deutsch erschienen war, empfohlen wurde. Diese abgründige Geschichte über einen Mord in der Ehe, der alle Geldprobleme lösen soll, hatte Perrig sofort gepackt. Er hat danach „Nach dem Ende“ und „DNA“, „Waisen“ und „Die Götter weinen“ von Dennis Kelly inszeniert, fast immer als deutsche Erstaufführungen. Nun die Geschichte von Gorge Mastromas als Debüt am Hans Otto Theater.
Angesprochen wurde Elias Perrig von Tobias Wellemeyer, Intendant am Hans Otto Theater. „Das hat mich dann doch überrascht“, sagt Perrig. Aber Wellemeyer hatte mehrere Arbeiten von Perrig gesehen, die ihn überzeugten. Und in den wiederholten Gesprächen entstand dann die Idee, in dieser Spielzeit nicht nur Dennis Kelly, sondern auch Tennessee Williams „Orpheus steigt herab“ am Hans Otto Theater zu inszenieren. Perrig, der zuvor schon das neue Theater am Tiefen See besucht hatte, mochte das Haus. Jetzt, nachdem er intensiv mit dem Ensemble für „Die Opferung des Gorges Mastromas“ gearbeitet hat, weiß er auch, dass er die Schauspieler mag. Denn bei ihnen spüre er das Wissen und den Willen für die Gruppe. „Das ist nicht immer so“, sagt Perrig. So gibt es Theater, die herausragende einzelne Schauspieler haben, oft zu Lasten des Ensembles. In Potsdam funktioniere dagegen das Ensemble ganz hervorragend. Für Perrig vielleicht die wichtigste Voraussetzung, um ein Stück wie „Die Opferung des Gorges Mastromas“ von Dennis Kelly auf die Bühne zu bringen. Denn diese Inszenierung sieht er wie Musik und sich selbst ein wenig wie ein Dirigent.
Am Anfang wird die Zeugung und die Kindheit, die Jugend und das erste Beziehungsdesaster von Gorge Mastromas erzählt. Und Perrig lässt hier nicht wie in anderen Inszenierungen nur einen Schauspieler, sondern alle sechs erzählen. Wie in einem Kammerensemble liegt dabei auf jeder Stimme großes Gewicht, würde jede Ungenauigkeit sofort auffallen und für ein Ungleichgewicht sorgen, durch das der Sog verloren gehen könnte, der von diesem Stück ausgeht. Und dieser Sog liegt bei „Die Opferung des Gorges Mastromas“ vor allem in dem unterschwelligen Spiel um die Wahrheit und das, was wir dafür halten wollen.
Gorge steht wie jeder von uns immer wieder vor Entscheidungen, die er treffen muss. Entscheidungen, die wie Weggabelungen scheinen und seinem Leben eine jeweils andere Richtung geben würden. Am Anfang entscheidet sich Gorge immer für die Moral, wobei nie ganz klar wird, warum er sich so entscheidet. Oft scheint es Gorge selbst nicht zu wissen und rückt so wieder ganz nah an uns heran. Güte oder Feigheit, das ist die Frage, die immer wieder gestellt wird. Doch dieses „oder“ ist irreführend, es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage, denn eine Entscheidung kann immer auch aus Güte und Feigheit fallen.
Für Elias Perrig ist es immer wieder erstaunlich, wie treffend Dennis Kelly die Zerrissenheit des Menschen in unserer heutigen, neoliberalen Welt in seinen Stücken auf den Punkt zu bringen versteht. Wie reagieren wir auf das Gedankengut, die Strömungen unserer Zeit? Wie gehen wir damit um? Und was machen diese Zeit, die Zwänge und Verpflichtungen, die Erwartungen und Enttäuschungen mit uns? Gorge Mastromas, der am Anfang eher wie ein Dahintreibender sich fast ergeben für die moralisch scheinbar richtigen Antworten in seinem Leben entscheidet, findet dann den Weg auf die andere, die brutale, kapitalistisch-verlogenen Seite. Für ihn zählt da nur noch Lüge. Und manchmal scheint er selbst nur noch erstaunt, wie gut dieses Spiel funktioniert, auch wenn am Ende das Leben gnadenlos über ihn zusammenbricht.
Für Elias Perrig ist die Geschichte von Gorge Mastromas eine kollektive Erzählung, eine Rekonstruktion von vielen Stimmen, die keine Wahrheit zulassen, die eindeutig zu nennen wäre. Kelly ist immer auf der Suche nach der Wahrheit. Aber nie stellvertretend für sein Publikum. Das wird ganz besonders in „Die Opferung des Gorges Mastromas“ deutlich, wenn es an das Publikum gerichtet heißt: „Entscheiden Sie selbst.“ Wenn es denn so einfach wäre.
Premiere von am Freitag, dem 15. November, 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse
Dirk Becker
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