Kultur: Ein Kaleidoskop des Krieges Der Weltkriegsroman „Heeresbericht“ im HOT
Von der Begeisterung zum Zweifel, von den Schlachtfeldern ins Irrenhaus – diesen Weg sind vermutlich viele aus Edlef Köppens Generation gegangen. Darüber schreiben konnten die wenigsten – der Potsdamer Schriftsteller, geboren am 1.
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Von der Begeisterung zum Zweifel, von den Schlachtfeldern ins Irrenhaus – diesen Weg sind vermutlich viele aus Edlef Köppens Generation gegangen. Darüber schreiben konnten die wenigsten – der Potsdamer Schriftsteller, geboren am 1. März 1893 in Genthin, aber hat es. 1930 erschien sein Roman „Heeresbericht“, den das Hans Otto Theater unter der Leitung von Ute Scharfenberg am Donnerstag auf die Bühne bringt.
Die Hauptfigur der Erzählung heißt Adolf Reisiger, abgesehen davon ist die Geschichte aber die Köppens. Der hatte sich nach dem Germanistik- und Philosophie-Studium freiwillig fürs preußische Heer gemeldet. Zwischen 1914 und 1918 kämpfte er im Ersten Weltkrieg, stieg auf vom Gefreiten zum Unteroffizier, schließlich zum Leutnant der Reserve – und kehrte schwer verletzt und traumatisiert zurück. „Ich tat das mit Begeisterung, mit Pflichtgefühl, mit zusammengebissenen Zähnen, mit Verzweiflung, bis man mir das E. K. I (das Eiserne Kreuz 1. Klasse) verlieh und mich ins Irrenhaus steckte“, heißt es in „Heeresbericht“. Es ist das Resumee Adolf Reisigers, der im Laufe der Geschichte erlebt, wie sich die Soldaten aller Länder von begeisterten Patrioten in stumpfsinnige Maschinisten des Todes verwandeln – und die Landschaften Europas in die Oberfläche eines fremden Planeten.
Seinen Ursprung hatte diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts in Potsdam: Dort hatte Kaiser Wilhelm II. am 31. Juli 1914 im Neuen Palais die deutsche Kriegserklärung erlassen. Und Köppen greift solche Zeitdokumente auf: Immer wieder bricht er seinen Erzählfluss mit Originaldokumenten auf. Mit Zitaten des Kaisers, hoher Offiziere, der Zensurstellen. Mit Zeitungsberichten, Reklame, Tagebucheinträgen und Briefen. Einen Teil der Dokumente soll er von seinem Vermieter bekommen haben, der im Heeresarchiv Potsdam arbeitete. Indem er sein eigenes subjektives Erleben mit dem anderer zu einem Ganzen montiert, entfaltet er ein ganzes Kriegspanorama für den Leser. Die offiziellen Heeresberichte und die Erfahrungen des Romanhelden klaffen dabei oft auseinander und machen den Wahnsinn des Krieges umso deutlicher.
Damit passte Köppens Roman natürlich auch nicht in die Ideologie der NS–Zeit, 1935 wurde „Heeresbericht“ verboten. Schon zwei Jahre zuvor war Köppen bei der Funk-Stunde Berlin – dem ersten deutschen Radiosender – entlassen worden. Dort war er seit 1925 als freier literarischer Mitarbeiter angestellt gewesen. Köppen aber lehnte es ab, der NSDAP beizutreten und sich für ein antisemitisches und pronazistisches Programm zu engagieren. Auch als Chefdramaturg der Filmfirma „Tobis“ geriet er anschließend in politische Auseinandersetzungen, als die Firma dem Reichspropagandaministerium unterstellt wurde.
Politisch unverfänglicher war sein letzter Roman „Vier Mauern und ein Dach“, in dem er sich 1934 ironisch mit den Bauarbeiten an seinem Haus in Wilhelmshorst auseinandersetzte. Nur wenige Jahre später – 1939 – starb Köppen in Gießen an den Folgen seiner Kriegsverletzungen. Er ist auf dem Waldfriedhof in Wilhelmshorst beerdigt. Ariane Lemme
Lesung aus „Heeresbericht“ am morgigen Donnerstag um 19.30 Uhr in der Reihe „nachtboulevard“ in der Reithalle in der Schiffbauergasse
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