
© Klaus-Dietmar Gabbert/dapd
Kultur: Ein Klamauk für den König
Bei der Premiere von „Fritz! Ein Theaterspiel für den König von Preußen“ glänzte eine: Rita Feldmeier
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Es ist der Moment, in dem Henri de Catt begreift. Und auch der Zuschauer, der nun schon gut zwei Stunden hin- und hergerissen dem überdrehten Treiben auf der Bühne folgt und sich immer wieder fragt, was er davon bloß halten soll.
„Warum denn so betrübt?“, gibt sich Friedrich II. heuchlerisch-besorgt. „Es war nicht die Geschichte, die Ihr hören wolltet. Tut mir leid, de Catt.“
Was für eine grandiose Lüge! Als ob dem König, der hier das Spiel die ganze Zeit an unsichtbaren Fäden geführt und dirigiert hat, etwas leid tun müsste. Es ist doch schließlich „Ein Theaterspiel für den König von Preußen“. Er ist die Person, die anderen nur Figuren. Er ist Fritz, mit Ausrufezeichen, und es gilt seinen Geburtstag zu feiern. Den 300. in diesem, seinem Jubeljahr. Was dem König überhaupt nicht gefällt.
„Wenn ich könnte, würde ich mich ekeln, würde ich kotzen, würde ich euch die Knochen brechen“, sagt dieser König am Anfang seines Theaterspiels, das im August 1786 spielt, wenige Tage vor seinem Tod, und in dem er sich Intrigen erwehren muss und gleichzeitig seine Lebensgeschichte in einer Oper verewigen will. Er spricht zum Publikum. Die in Dunkelheit gehüllte Bühne ist fast leer. Im Hintergrund nur ein Gerüst, an dem überdimensioniert, in preußischroten Lettern „Sanssouci“ prangt. Dann steht da noch ein Mikrofon, in das Friedrich II. seine Worte spricht.
Regisseur Tobias Wellemeyer hat „Fritz! Ein Theaterspiel für den König von Preußen“ von Uwe Wilhelm, das am Donnerstag im ausverkauften Hans Otto Theater uraufgeführt wurde, als Groteske und Burleske, Respektlosigkeit und famose Frechheit, als Abgrundspektakel und Seelenwirrwarrtanz inszeniert. Wenn Friedrich heute auf die Bühne geholt werden soll, so will uns Wellemeyer sagen, dann bitteschön als Klamotte. Als Klamotte, in der der Irrsinn den Taktstock schwingt. Oft genug an der Schmerz- und Balla-Balla-Grenze. Als durchgeknallte Nummernrevue im 20er und 30er Jahre-Schick, in der jeder ums Überleben tanzt. Nur der König nicht. Der lacht. Schließlich weiß er, dass alle hier längst in seine Gruft gefahren sind, in sein ganz persönliches Höllenreich. Und wie zu Lebzeiten schon ist er auch hier ein Meister der Manipulation, der Inszenierung. Nur ist hier alles außer Rand und Band, der überspitzte Wahnwitz in Reinkultur.
Alexander Wolf hat die Bühne mit dem riesigen „Sanssouci“-Schriftzug auf drehbarem Gerüst zu einer Fassadenlächerlichkeit gemacht. Je prachtvoller eine solche Fassade, umso abgründiger und nichtssagender das Dahinter, wie ein abgeranztes Küchenkabuff und die dunkle Leere zeigen. Sind sie für das Spiel nötig, werden ein paar Stühle und ein Tisch auf die Bühne gebracht. Ein Gitterwagen für Dreckwäsche dient dem Thronfolger Friedrich „Willi“ Wilhelm als Spielstatt für seine bizarren Lustschweinereien; dazu ein paar Notenständer und alte Filmscheinwerfer. Hier herrscht ein maroder Minimalismus. Und in diesem strahlt vor allem eine: Rita Feldmeier in der Rolle des alten Preußenkönigs.
Dieser Premierenabend im Hans Otto Theater ist der Abend von Rita Feldmeier. Schon ihr Prolog als Königsgeist ist herrlichster Sprachfuror. Was Theater kann, was Theater soll, was Theater muss, das zeigt diese Schauspielerin. Ihr Auftritt, zum Niederknien! Eine kleine Veränderung in ihrer Mimik, eine kleine Veränderung in ihrer Körperhaltung, schon ist da eine andere Figur, ein anderer Seelenzustand. Wo andere schreien, poltern und toben, wild mit Armen und Augen rollen und trotzdem nichtssagend bleiben, weil sie nur die billige Maske einer Rolle mimen, hat Rita Feldmeier diesen Friedrich verinnerlicht. Und so präsentiert sie all die Friedrich-Klischees mit schauspielerischem Feingefühl: den Menschenhasser und Zyniker, den kalten Machtmenschen und Analytiker, den durch die Brutalität des Vaters Traumatisierten und den im Grunde doch Herzensguten. Es sind nur kurze, aber so beeindruckende Charakterskizzen, die Rita Feldmeier hier zeichnet. Denn schon im nächsten Moment lässt sie diese platzen wie Seifenblasen, schließlich ist es nicht die Geschichte, die wir hören wollen, die wir hören sollen.
„Es ist die Hölle, aus der Höllisches entsteht“, schnurrt die Feldmeier herrlich zynisch zum Ende der zweistündigen Inszenierung. Bis dahin sind schon Köpfe gerollt, ist die unschuldige Ulrike, Ehefrau des Schreiberlings Henri de Catt, zu Tode gefoltert worden und hat sich Thronfolger Friedrich „Willi“ Wilhelm in seiner Gitterwagenspielstatt mittels „einer Flöte Ihrer Majestät“ ausgiebig penetrieren lassen. Friedrich hat für das Libretti seiner Geburtstagsoper die Traumata seiner Kindheit offengelegt und Gift und Galle gespuckt. Es ist viel geschrien und lamentiert, ein bisschen getanzt und auch gesungen worden. Eddie Irle als Friedrich „Willi“ Wilhelm in Wehrmachtsuniform hat sich bemüht. Melanie Straub, Marianna Linden und Charlotte Sieglin als Mätressen Wilhelmine Encke, Rudolfa von Bischoffswerder und Johanna Wöllner haben sich bemüht. Und auch Raphael Rubino in der Rolle des Henri de Catt, ein Hanswurst zum Knuddeln und spruchfideler Traumtänzer, fürchterlicher Feigling und elender Kriecher hat sich bemüht. Doch ihre Rollen wollte ihnen noch nicht so recht passen. Was vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen wäre, wenn da nicht die überragende Rita Feldmeier gewesen wäre. Und Patrizia Carlucci.
Wie ein Sorgenlosvögelchen flattert ihre Ulrike de Catt durch dieses höllische „Sanssouci“-Rund. Mal naiv, dann fordernd, mal liebevoll keck, dann äußerst bissig. Aber immer ist sie obenauf. Ein Licht- und Glücksquell in diesem dunklen, von Intrigen heimgesuchten Bühnenloch. Und dann verletzt sich Patrizia Carlucci am linken Knie, kommt nach einer unfreiwilligen Pause von 40 Minuten mit bandagiertem Bein zurück auf die Bühne und spielt weiter, mal mit Krücke, mal im Rollstuhl, so, als ob gar nichts geschehen war und rettet diesen Premierenabend. Erst am Ende, beim Schlussapplaus, sieht man, wie sehr ihr die Schmerzen zu schaffen machen. Ihr gehörten die Herzen der Zuschauer an diesem Abend.
„Still!! Alle still! Der König ist tot“, heißt es am Ende. Und Schweigen überzieht die Irrenhausbande auf der Bühne. Das Publikum ist ordentlich irritiert. Nur einer scheint hier noch lachen zu können: Friedrich II., das „alte Ekel“. Er, besser gesagt Rita Feldmeier, hat es allen gezeigt. Hat Erwartungen zerschlagen, hat geschockt und begeistert, erschüttert und berührt. Am Ende zeigt dieser König, im übertragenen Sinne, uns allen nur den Mittelfinger: „Was immer man von mir erzählt, es sind die Lügen derer, die sie singen, und derer, die sie hören. Niemals ist es meine eigene Geschichte. Denn die kennt niemand außer mir.“ Und fröhlich verschwindet er wieder in seiner Gruft.
Wieder am Samstag, dem 21. Januar um 19.30 Uhr, und Sonntag, dem 22. Januar um 15 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 11 8
Dirk Becker
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