Kultur: Ein Künstler mit vielen Facetten
Armin Mueller-Stahl las im Hans Otto Theater
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Dass Armin Mueller-Stahl ein Gesamtkunstwerk an sich ist, konnte das Potsdamer Publikum am Wochenende mehrmals erleben: Zunächst sprach er am Samstagabend im Filmmuseum über seine Erfahrungen bei Filmen wie „Night on Earth“ von Jim Jarmush, dann glänzte er mit seinem bildkünstlerischen Werk bei der Eröffnung der Ausstellung „Lebenswelten“ im Alten Rathaus, schließlich las er am Sonntagabend im voll besetzten Hans Otto Theater aus „Kettenkarussell“.
Doch damit nicht genug: Armin Mueller-Stahl war, bevor er zur Schauspielerei kam, ein Geigenvirtuose mit einer großen Zukunft. Diese Erfahrung hat er in seinen Erzählband „Hannah“ einfließen lassen – und präsentierte mit der 1984 geborenen Geigerin Sarah Spitzer im Hans Otto Theater eine an Hannah erinnernde Figur. Die Hannah aus der Erzählung ist ebenfalls eine Geigerin, aber zu dem Zeitpunkt, an dem die Erzählung einsetzt und zwei ältere Männer (der eine davon ist ihr Vater) sich an die begabte junge Frau erinnern, ist sie schon tot.
Doch Sarah Spitzer war äußerst lebendig und beglückte das Publikum gemeinsam mit Mike Jin am Klavier unter anderem mit der virtuos dargebrachten Kreutzersonate von Beethoven, mit Wiener Weisen und mit Brahms. Dabei saß der weltbekannte Schauspieler am kleinen, schwarz behängten Tischchen und schien zu genießen, dass er selbst sich immer wieder der Aufmerksamkeit der Zuhörer durch den Trick, das Gesamtkunstwerk um die Musik zu ergänzen, entzog.
Aber er las dann doch, auch, wie er hintergründig formuliert, weil Frau Dalichow „vom Filminstitut“ ihm gesagt habe, er könne lesen, was er wolle, denn das Publikum wolle doch nur sehen, ob er noch laufen könne. Auch das kann er, schreiben und lesen zudem: Sehr schön die Charakterisierung von Mutter und Vater, die er mit den Worten einleitet: „Wenn er jetzt umfiele und tot wäre“ – das fragt sich der junge Mueller-Stahl, der auf die wenig beeindruckte Mutter stoßen würde, „Was haben wir denn hier“, würde sie nur fragen – genauso nämlich habe sie reagiert, als Vater... Diese gläubige, Leben und Tod akzeptierende Mutter aber war es auch, die dem überpeniblen Vater ein wenig Chaos entgegensetzte – und so den Jungen, der nach Vaters Wünschen Chirurg werden sollte, auf die Kunstbahn brachte. Armin Mueller-Stahl setzt seine Worte präzise, knapp, er eröffnet einen nur kleinen Ausblick auf die Szenerie und knausert mit Beschreibungen. Dafür schafft er es, durch klare Dialogführung seinen Figuren Leben einzuhauchen. So den beiden Totengräbern, die sich darüber unterhalten, dass die Anwesenheit von Kameras bei einer Beerdigung die Zahl der Trauernden sprunghaft in die Höhe schnellen lässt – „Ja, wenn det Fernsehen dabei is, dann komm“n se alle“. Sanft ist die Ironie des Multitalentes, der auch ein Potsdamer ist, schließlich habe er hier seinen ersten Film „Heimliche Ehen“ gedreht, das war 1956.
Der Applaus am Ende war ausgewogen und begeistert für die jungen und für den älteren Künstler – es war eine schöne Geste von Mueller-Stahl, auch als Förderer der Musik aufzutreten. Insgesamt kann Potsdam stolz darauf sein, dass Armin Mueller-Stahl sich so intensiv hier präsentierte – in all seinen Facetten, die insgesamt eine Art Gesamt-Lebenskunstwerk ergeben. Lore Bardens
Lore Bardens
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