Kultur: Ein Land zum Verlieben
Der finnische Schriftsteller Petri Tamminen in der Stadt- und Landesbibliothek
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Der finnische Schriftsteller Petri Tamminen in der Stadt- und Landesbibliothek Finnland, das Land der Seen, Wälder und Zauberer, hat hierzulande viele Freunde. So viele, dass Petri Tamminens Ratschlag im Vorwort seines neuen Buches „Verstecke“ an die deutschen Leser unmöglich wahr sein kann: Er empfiehlt als „hervorragendes Alltagsversteck“ ausgerechnet eine Lesung, wie man sie am Donnerstag in der Stadt- und Landesbibliothek erlebte: Keine Bekannten im Raum, auch biete die fremde Sprache hinreichend Schutz: „dort darf man für einen Augenblick niemandem gehören, man darf niemand und nirgendwo sein“. Dem war freilich nicht so, denn zum Tag der 60. Wiederkehr der Zerstörung Potsdams waren sehr viele ins Obergeschoss der Bibliothek gekommen, den 1966 geborenen Finnen zu erleben, darunter Vertreter vom Potsdamer Freundeskreis mit der Partnerstadt Jyväskylä und vom Finnland-Institut Berlin. Sie verstanden, was er in seiner Muttersprache vortrug, brauchten nicht die sehr galante und flüssige Arbeit der Übersetzerin Petra Sauerzapf-Poser. Tamminen war in diesem Kreise also nicht „fremd“, sondern geradezu wohlgeborgen, zumal auch die Damen der Bibliothek ihr Bestes gaben, diesen Abend angenehm und schmackhaft zu machen. Rundum ein Erfolg im städtepartnerschaftlichen Jahresprogramm des Rathauses, als deren Partner die Bibliothek auftritt. Der finnische Gast, ein „geborener Verstecker“, ist derzeit auf einer Lesereise in Deutschland, erste Station ist Potsdam. Nachdem er im Februar 2003 in Berlin, Frankfurt/M., der deutschen Verlagsheimat seiner Bücher, und anderen Städten den Erstling „Der Eros des Nordens“ vorstellen konnte, folgte nun der gleichfalls schmale Band „Verstecke“. Offenbar ist die Kurzprosa eine Spezialität jenes Mannes, welcher mit seiner Familie in ziemlicher Einsamkeit seitab von Lahti lebt. Er habe lange gebraucht, dieses Thema zu finden, sagte der sympathische Mann mit der hohen Stirn und dem lakonischen Humor. Es setzt voraus, dass sich eigentlich jeder gerne verbergen will, ohne dabei wirklich zur Ruhe zu kommen. Solche Refugien beschreibt der freie Autor und Journalist in 43 konzentrierten, gut lesbaren Miniaturen, eine Schären-Insel, ein Hinterzimmer, den Wald, eine Flughafentoilette oder eine Bibliothek – Suomis Bildungswesen bringt ja Lehrer und die Mitarbeiter von Büchereien ob der PISA-Studie ins blanke Schwärmen. Tamminens Lieblingsversteck aber ist, vom Gehen auf das weite Eis mal abgesehen, kein Ort, es sind ein Paar Sätze aus dem glänzenden Text „Die Sandgrube“, poetisch angelegt und hübsch reflektiert. Überhaupt könnte man, den wunderbaren Gitarrensänger Tuomas Sidoroff sowie das Pausenbuffet aus Rentierhäppchen und Lachs hinzugerechnet, diese angenehme und sehr literarische Veranstaltung glatt als Einladung verstehen, sich in dieses Land und seine Mentalität zu verlieben. Das Buch bietet den idealen Einstieg, wenn man nur „Das Finnland der Verstecke“ verinnerlicht hat. Zuerst aber sei es unabdingbar, „den Menschen, der sich verstecken will, in sich anerkennen“, empfiehlt der Autor, welcher seit 1994 mit gutem Erfolg solcherart Kurzprosa verö¦ffentlicht. Der Kluge, sagt er, hält sowieso unentwegt nach Unterschlupfen Ausschau, obwohl gerade „das Finnland der Verstecke“ arm und karg sei. Tamminen findet sie trotzdem, sei es auch auf der Wiese, wo sich „der Vater“ in irgendeinem Strohballen verkrochen hat. Zauberhaft. Doch kann sich, wer schreibt, tatsächlich verstecken? Gerold Paul Petri Tamminen „Verstecke“, Suhrkamp Verlag, 15 Euro
Gerold Paul
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