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Kultur: Ein Leben aus Metall
Max Cavalera, Ikone des Heavy Metal, spielt am Sonntag mit seiner Band Soulfly im Waschhaus
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Ein bisschen verrückt klingt sie schon, diese Geschichte. Da ist dieser junge Typ in Belo Horizonte, irgendwo in der späten Militärdiktatur Brasiliens in den 80er-Jahren, eigentlich ein gigantischer weißer Fleck auf der Weltkarte, der gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder aus Trotz, Aufmüpfigkeit und Armut heraus eine Metalband gründet und zu einem der weltweit einflussreichsten Musiker härterer Gangart wird. Es ist aber auch eine Geschichte voller Tragik und Spiritualität, eine, wie sie nur der Rock ’n’ Roll erfinden kann. Eine Geschichte, die sich in einem Kosmos von Wahnsinn abspielt, der von der Abgrenzung lebt. Am Sonntag spielt Max Cavalera mit seiner Band Soulfly im Potsdamer Waschhaus.
Angefangen hat alles 1983: Der damals 16-jährige Max Cavalera gründet die Thrashmetal-Band Sepultura, weil er sonst nichts mit seinem Leben anzufangen weiß in dieser Generation ohne Zukunft, die gewalt- und drogenverseucht zu versinken droht. Cavalera findet die Droge jedoch woanders: in der Musik. Das rettet ihn, und führt zu einer hysterischen Welle des Erfolges, die bis heute nicht abgeebbt ist.
Eine Erschütterung gibt den Ausschlag: Als Max und sein Bruder Iggor keine zehn Jahre alt sind, stirbt der Vater, ein liebenswerter Lebemann, und lässt die Familie in Bestürzung zurück – und in tiefer Armut. Zunächst kommen sie bei der Großmutter unter, beide Söhne fliegen von einer Schule zur nächsten, bis sie Motörhead, Black Sabbath und Slayer hören; und beschließen, selbst Musik zu machen. Die Mutter lässt sie gewähren: Hauptsache, ihr macht irgendwas!
Und Max und Iggor steigen mit Sepultura vom exotischen Thrash-Geheimtipp in den Rock-Olymp auf, der 1996 mit dem Album „Roots“ einen Höhepunkt findet – und im selben Jahr die Band fast vernichtet. Bis dahin gibt es jedoch ein Leben voller Koks, Suff und Eskapaden, das die komplette Band 1991 aus der brasilianischen Enge herausreißt und nach Phoenix, Arizona führt. Brasilien wird trotzdem immer Thema bleiben; die Exilanten finden jedoch in den Vereinigten Staaten ihr Zuhause. Und über das kann Max Cavalera viel erzählen: wie ihm Lemmy von Motörhead in einer englischen Bar mal ein Whiskyglas über den Kopf schüttete, oder wie er im Tourbus Eddie Vedder von Pearl Jam auf die Hose reiherte. Keine Frage, Cavalera erfüllt jedes Klischee des versoffenen, zutätowierten Metalheads, der schon zu Lebzeiten eine Legende wird – nur mit den Groupies klappt es irgendwie immer nicht.
Dafür irgendwann mit der Tourmanagerin. Von Gloria übernahm Cavalera gleich ihre fünf Kinder, besonders sein Stiefsohn Dana wuchs ihm ans Herz, ein Teenager, der ganz genauso wie Cavalera zehn Jahre zuvor war. Doch Cavalera reitet auf einer Welle, die bald brechen und sich überschlagen wird. Als Sepultura am 16. August 1996 auf einem Festival in Großbritannien im Rahmen der „Roots“-Tour spielen, verunglückt Dana bei einem Autounfall tödlich. Verunglückt? Was an diesem Abend passierte, wurde nie aufgeklärt, die Überlebenden des Unfalles verweisen auf eine kollektive Amnesie, es soll eine Verfolgungsjagd gegeben haben, verfeindete Gangs, immer wieder widersprüchliche Zeugenaussagen. Cavalera spricht bis heute von Mord. Kurz darauf entscheidet sich die Band, Cavaleras Ehefrau und langjährige Tourmanagerin Gloria zu feuern, damit die Tour weitergehen kann – und Max schmeißt vor Enttäuschung hin. Die Eifersüchteleien der Ehefrauen untereinander seien schuld daran gewesen, mutmaßt Cavalera Jahre später. Vielleicht ist das aber nur seine Erklärung.
Das Verhältnis ist jedenfalls grundlegend zerrüttet, auch wenn Sepultura ohne ihre Frontfigur weitermachen. Cavalera wird kein Wort mehr über die Band verlieren, in Interviews ist sie ein Tabuthema. Cavalera, der so vehement gegen Kirche und Staat rebellierte, wird spirituell. Kein Widerspruch, findet er, der jetzt jedes Album explizit Gott widmet. Über Religion kann man mit Cavalera streiten, über den Glauben nicht. Es mag für ihn eine höhere Macht geben, den Glauben daran will er niemandem aufzwingen.
Vielleicht hätte all das auch das Ende der Geschichte sein können – aber Cavalera kann ohne Musik nicht leben. Was zunächst als Projekt beginnt mit dem er befreundete Musiker um sich schart, wird zu einem gnadenlosen Erfolg: Das Album „Soulfly“ gibt dem Projekt gleich seinen Namen, und innerhalb kürzester Zeit setzen Soulfly bis heute nachwirkende Akzente. Cavalera lässt namhafte Musiker um sich selbst rotieren, reist um die Welt, bringt neue Instrumente und Einflüsse mit. Ein Album nach dem anderen erscheint, die Band tourt um die Welt, spielt beinahe überall. 2006 kommt es zur Aussprache mit seinem Bruder Iggor, beinahe zehn Jahre nach dem Bruch – und sofort machen beide wieder zusammen Musik unter dem Namen Cavalera Conspiracy. Und Max Cavalera eine Therapie: Schluss mit durchzechten Nächten im Drogenrausch. Seiner Kreativität tut das keinen Abbruch.
Eigentlich fehlt nur noch eins: Der Zusammenschluss von Sepultura, in alter Besetzung. Ein Dauerthema, dem sich eigentlich keine der Bands verwehren will. Den entscheidenden Schritt dazu will jedoch keiner machen, vielleicht auch weil diese Forderung seit 20 Jahren so vehement geäußert wird. Aber in einer verrückten Karriere wie der Cavaleras kann man nichts ausschließen. Oliver Dietrich
Soulfly spielen an diesem Sonntag, 7. August, um 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse. Die Karten kosten 28 Euro, Einlass ab 19 Uhr
Oliver Dietrich
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