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Hoher Unterhaltungswert. Der frisch erkorene Stierpreis-Träger Dieter Hildebrandt präsentierte sein langes Programm „Ich kann doch auch nichts dafür“ als Lese-Gala am Tisch. Gepflegt inszenierte Selbstironie wechselte sich dabei auch mit alten Kamellen ab.

© Andreas Klaer

Kabarett: Ein Leben für die Pointe

Kabarettist Dieter Hildebrandt erhielt im Potsdamer Nikolaisaal den Ehrenstier 2011

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Es war schon alles recht merkwürdig am Freitagabend. Auf der Bühne des Nikolaisaals hatte man eine extra schwarze Guckkastenbühne aufgebaut, in ihrem Hintergrund stand eine Gruppe von Mikros, die niemand brauchte, an der Wand hing der Kopf eines Stierchens, gewiss noch ein Kind. „Hört hört“ und „Kultur ist überall“ stand an den Sendewagen draußen, und das stimmte. Irgendjemandem hatte es wohl gefallen, die dreißigste Verleihung des „Salzburger Stiers“ 2011 ausgerechnet nach Potsdam zu verlegen, obwohl doch zwischen Flensburg, Zürich und Bozen genügend Platz gewesen wäre. Willi Steul, Intendant des präsentierenden Deutschlandradios, fand nette Worte für die „kleine Schwester“ neben dem großen Berlin, wo ein „aufgeschlossenes Publikum den richtigen Nährboden für geschliffene Wortspiele freier Geister“ bilde.

Nun war das reale Publikum wohl zum kleinsten Teil aus Potsdam, und mit den „freien Geistern“ war es auch nicht so doll, wenigstens nicht bei Dieter Hildebrandt, dem diesmaligen Träger des „internationalen Radio-Kabarettpreises der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im deutschsprachigen Raum“. Man sagt ihm ja nach, Tabus weitgehend zu respektieren, so dass ihn auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann loben konnte. Andererseits wirft nicht nur ein Mathias Richling dem 1927 in Bunzlau geborenen Kollegen vor, „parteipolitisches Kabarett“ für die Sozialdemokraten zu machen.

In einer Vor-Ansage wurde das Publikum „auf Sendung“ getrimmt: Dreimal brülle der Stier an der Wand, dann applaudiere das Publikum, bis man es über die Alpen hinweg hört, bei RAI Bozen. Nun klang Stiers Gebrüll eher mau, dafür bekam Georg Schramm in seinem bekannten Nachkriegs-Outfit als Laudator kräftigen Beifall. Er laudierte zwar heiter, doch auffallend lau. Mau lau! Als ob das nicht schon vorher klar gewesen wäre, verkündete er, Dieter Hildebrandt nehme den Ehrenpreis der sieben Sender an. Ganz im Gegenteil zum Bundesverdienstkreuz, welches der Wahl-Münchner abgelehnt hatte, um nicht „in zwielichtige Gesellschaft“ zu geraten. Nachdem er den Älteren für seine eigene „politische Sozialisation“ verantwortlich gemacht hatte, rief er mal wieder zur öffentlichen Empörung auf. Das bürgerliche Publikum gab Beifall. Dann betrat der „Altmeister“ die Bühne, nahm von Georg Schramm – nicht von irgendeiner Intendanz – etwas Kleines entgegen, man sah’s nicht genau, es wurde auch nicht gezeigt, und auch gleich wieder weg getan.

Ohne Schlips, dafür mit Kragen, präsentierte der Stierpreis-Träger dann sein ellenlanges Programm „Ich kann doch auch nichts dafür“ (2010) als Lese-Gala am Tisch. Hier zeigte sich, wie Recht seine Kritiker hatten, als sie ihm eine „parteikabarettistische“ Grundausbildung bescheinigten: Wenn man zum x-ten Male hört, dass die Bayern trotz auswechselbarer Politikernamen immer die Tumben, Dieter Hildebrandt aber, der mitten unter ihnen ein Leben „mit den Tugenden eines ordentlichen Bürgers“ (Selbstaussage) führt, stets der Kluge und Bessere sei, dann wird einem das irgendwann einfach zu blöd. Seehofer und Merkel pfui, weil „schwarz“, was ist denn das für ein Denk-Discount.

Auch die von der Leyen hätte Hildebrandt lieber bei ihrem Gender-Mainstream packen sollen, aber Übergreifendes war wohl sein Ding nicht. Natürlich konnte man auch in diesem Programm wieder auf seine uralten Kamellen aus Kriegsendes Flakhelfertagen warten. Sie kamen, klar. Was er sonst wider flachbrüstige Journalisten, Talkshows, Krankenkassen, Sarrazins, Hartz V und Google anzumerken hatte, erinnerte verdächtig an blanke Pointenhascherei: Noch eine – noch eine! Alles wie von der Schnur und im bewährten Stammeln und Suchen, in imperfekten Sätzen und bedeutungsvollen Gesten vorgetragen. Mit hohem Unterhaltungswert also. Gut war seine gepflegt inszenierte Selbstironie in Sachen Alter, und natürlich der erstklassige „Rentner-Rap“ zum Finale. Immerhin soll der „Grandseigneur des politischen Kabaretts“ fast jeden zweiten Tag im Jahr per Lesung unterwegs sein, draußen im Land.

Etwas blieb bei allem Gelächter arg unterbelichtet: Deutete der Titel „Ich kann doch auch nichts dafür“ den Gang der Weltläufe auch ohne Dieter Hildebrandt an, so war sein gut zweistündiger Bühnenauftritt das glatte Gegenteil davon: Er war der Steuermann, er bestimmte, was gehauen und gestochen ist! Dafür „kann“ er doch, oder? Das aufgeschlossene Publikum amüsierte sich trotzdem wie Bolle, rauschender Beifall, vereinzelt auch stehend. Nach drei Stunden war dann alles vorbei. Auch nicht schlecht.

Gerold Paul

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